«Wir müssen die Weichen jetzt richtig stellen»
Frau Bundesrätin, im Juni stimmen die Schweizer Stimmberechtigten über das CO2-Gesetz ab. Entre nous: Haben Sie darob schon schlaflose Nächte?
Ich nehme diese Abstimmung sehr ernst. Es geht um die Zukunft unserer Kinder und Enkel. Deshalb bin ich froh, dass ein griffiges Gesetz auf dem Tisch liegt, das dem Klima und den Menschen etwas bringt. Ich bin überzeugt, dass eine Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger dies auch so sehen wird. Somit steht es gut um meinen Schlaf. Das Gesetz legt den Grundstein für die Klimazukunft des Landes. Die Schweiz soll bis 2050 klimaneutral sein. Bis dahin dauert es noch rund eine Generation. Ist das ambitioniert genug? Einigen dauert das zu lange. Ich will auch, dass es vorwärts geht. Wer jetzt nein sagt, hilft aber nicht jenen, die das Klima rascher und konsequenter schützen wollen, sondern es gewinnen jene, die weiterhin möglichst viel Öl verkaufen wollen. Das wäre ein grosser Rückschritt im Klimaschutz. Deshalb müssen wir die Weichen jetzt richtig stellen. Das tut das Gesetz. Nach 2030 werden die Anstrengungen weitergehen. Wir sind beim Klimaschutz noch lange nicht am Ziel.
Mobility Pricing ist keine Alternative zum CO2-Gesetz, sondern allenfalls ein Ansatz zum Entschärfen der Verkehrsprobleme in den Städten und Agglomerationen.
Blicken wir auf einige Punkte, welche den Verkehr und die Mobilität betreffen: Im CO2-Gesetz ist ein Neuwagenziel enthalten. Neue Autos müssen demnach ihren CO2-Ausstoss halbieren. Was kann getan werden, um die Hersteller hier auf Kurs zu bringen?
Für importierte Fahrzeuge werden die Vorschriften – angelehnt an die strengeren Vorschriften der EU – verschärft. Die Autoimporteure müssen Neuwagen anbieten, die weniger Benzin und Diesel verbrauchen oder elektrisch fahren und somit weniger CO2 ausstossen. Halten sie diese Vorgaben nicht ein, zahlen sie eine Sanktion. Dies wird für die Hersteller und auch die Importeure ein Anreiz sein, effizientere Fahrzeuge zu produzieren und zu verkaufen.
Auch der öffentliche Verkehr (ÖV) soll mitziehen. Dieselbusse sollen durch Elektrofahrzeuge ersetzt werden. Der Nutzen liegt auf der Hand; birgt dies nicht die Gefahr, dass der ÖV sehr viel teurer – und so auch geschwächt – wird?
Im Gegenteil! Elektrobusse sind zwar noch teurer bei der Anschaffung. Aber diese Kosten werden sinken, auch die Batterien werden günstiger, und im Betrieb sind die Elektrobusse langfristig günstiger als Dieselbusse. Die Wartungskosten sind tiefer, und der Strom ist günstiger als Diesel. Mit dem Gesetz wird zudem ein Fehlanreiz beseitigt: Die Rückerstattung der Mineralölsteuer für Dieselbusse des ÖV fällt schrittweise weg.
Mit dem Gesetz soll auch eine Flugticketabgabe erhoben werden. Diese war in den bisherigen Debatten hart umkämpft. Die Gegnerschaft nennt sie ja sogar eine Steuer. Welche Hauptvorteile sehen Sie in dem Instrument? Erwarten Sie einen Rückgang des Flugverkehrs?
Für mich ist klar: Auch der Flugverkehr muss seinen Beitrag an den Klimaschutz leisten. Ich bin deshalb froh, dass das Parlament die Flugticketabgabe geschaffen hat. Sie funktioniert nach dem Verursacherprinzip und ist sozialverträglich. Wer oft und weit fliegt, zahlt mehr. Wer nicht mehr als einmal pro Jahr innerhalb von Europa fliegt, profitiert. Das gilt insbesondere für Familien. Zudem speisen wir mit der Abgabe einen Klimafonds. Mit Geld aus diesem Fonds investieren wir in eine klimafreundliche Zukunft
Welche Projekte könnten von diesem Klimafonds profitieren?
Wir unterstützen zum Beispiel Ladestationen für Elektroautos oder die Planung und Finanzierung von Fernwärmenetzen. Auch der internationale Personenverkehr wird Geld aus dem Fonds erhalten. Davon profitieren die Nachtzüge, die ja immer beliebter werden. Das ist gut fürs Klima. Internationale Zugverbindungen haben als Alternative zu Flugreisen in Europa das grösste Potenzial.
Die Juni-Abstimmung ist entscheidend für die Klimazukunft des Landes, konnte man lesen. Was aber, wenn das Gesetz durchfallen sollte?
Dann gilt weiterhin das bisherige CO2Gesetz, das aber nicht genügt, damit wir unsere Klimaziele erreichen. Es gäbe keinen Klimafonds und somit kein Geld für Investitionen in einheimische Arbeitsplätze mit Zukunft. Stattdessen würde weiterhin viel Geld für Öl und Gas ins Ausland fliessen. Allein in den letzten zehn Jahren waren dies 80 Milliarden Franken. Kurz: Ein Nein wäre unverantwortlich gegenüber der Umwelt und der Bevölkerung und eine verpasste Chance für unsere Wirtschaft und Forschung.
Kürzlich haben Sie die Grundlagen hinsichtlich Mobility Pricing vorgestellt, welche nun auch Pilotversuche ermöglicht. Sehen Sie eine solche Abgabe – die ja durchaus eine Steuerungswirkung haben kann – eher als zusätzlich unterstützende Massnahme oder gar als möglichen Plan B zum CO2-Gesetz?
Der Verkehr wird klimafreundlicher, wenn die Fahrzeuge weniger Benzin und Diesel verbrauchen oder mit Strom unterwegs sind. Diese Entwicklung unterstützen wir mit dem CO2-Gesetz. Mobility Pricing ist keine Alternative zum CO2-Gesetz, sondern allenfalls ein Ansatz zum Entschärfen der Verkehrsprobleme in den Städten und Agglomerationen. Seit Jahren diskutiert man über Mobility Pricing – ohne greifbare Resultate. Deshalb habe ich im Februar ein Gesetz in den Bundesrat gebracht, das es den Kantonen, Städten und Gemeinden ermöglicht, Pilotprojekte in Sachen Mobility Pricing durchzuführen. Danach werten wir aus, welche Ansätze sich für die Praxis eignen.
Andreas Käsermann