Wenn Wohnen alles andere als selbstverständlich ist

8. Sep­tem­ber 2017 | casanos­tra

Grafiti Flüchtlinge© Rike/pixelio.de

Der Woh­nungs­markt in der Schweiz ist ein har­ter. Noch viel mehr als Mieterin­nen und Mieter mit Schweiz­er- oder EU-Pass spüren dies vor­läu­fig aufgenommene Flüchtlinge. Für sie mün­det die Woh­nungssuche mitunter im Spiess­ruten­lauf.

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© Casafair Schweiz

Sie kom­men aus Kriegs- und Krisen­re­gio­nen. Sie stam­men aus Syrien, Irak, Afghanistan, Eritrea, Libyen – und so gut wie alle wären sie lieber zu Hause geblieben. Der Krieg, die Ver­fol­gung, die Unsicher­heit um Leib, Leben und Fam­i­lie hat sie fort­getrieben. Trotz grösster Gefahren auf der Reise, trotz ungewis­sem Schick­sal, trotz Tausenden von Kilo­me­tern fahren sie – fast immer unter men­sche­nun­würdi­gen Umstän­den – nach Mit­teleu­ropa. In Län­der, die sie oft höch­stens vom Hören­sagen ken­nen. Auch in die Schweiz. Hier angekom­men, haben sie zwar den Krieg hin­ter sich gelassen; es stellen sich aber neue Prob­leme.

Irgendwie zu Hause – und irgendwie doch nicht

Der Tag kommt, an welchem entsch­ieden ist, wer bleiben darf. Unweiger­lich. Auf Anerkan­nte Flüchtlinge wartet dann die Woh­nungssuche. Und die ist beileibe nicht immer ein­fach: «Einige Immo­bilien­ver­wal­tun­gen wollen keine Woh­nun­gen an Flüchtlinge ver­mi­eten und deklar­i­eren das offiziell», sagt Mon­i­ca Rosen­berg von der Car­i­tas Schweiz. Sie organ­isiert die dauer­hafte Unter­bringung von Flüchtlin­gen im Kan­ton Freiburg und ken­nt deren Sor­gen aus dem Eff­eff. Der Kan­ton habe vere­inzelt Hausver­wal­tun­gen verpflichtet, eine gewisse Anzahl von erschwinglichen Woh­nun­gen in den gefragtesten Kat­e­gorien anzu­bi­eten. «Das ist eine gute Prax­is, die von anderen Ver­wal­tun­gen auf frei­williger Basis ver­mehrt angewen­det wer­den sollte.»

Der grösste Anteil der Flüchtlinge sei alle­in­ste­hend, sagt Rosen­berg. Es fehlten darum ganz beson­ders Stu­dios und kleine Woh­nun­gen. «Am meis­ten man­gelt es an Woh­nun­gen im mit­tleren Preis­seg­ment, welche den kan­tonalen Sozial­nor­men entsprechen.» Die Erfahrung zeige, dass, je urbaner eine Region, umso rasch­er eine geeignete Woh­nung für Flüchtlinge gefun­den wer­den könne. Beson­ders in Wohn­blocks, wo der Wohn­raum in aller Regel bess­er erschwinglich sei. Ausser­dem sei die städtis­che Infra­struk­tur von Vorteil: «Wenn Woh­nun­gen allzu abgele­gen liegen und kaum mit öffentlichen Verkehrsmit­teln erre­ich­bar sind, kom­men sie nicht infrage für Flüchtlinge.»

Gelungene private Initiativen …

Neben der organ­isierten, staatlichen Woh­nungssuche für Flüchtlinge gibt es zahlre­iche pri­vate Ini­tia­tiv­en, die eben­falls gut funk­tion­ieren. Denn am Willen zu helfen, man­gelt es nicht. So hat etwa casanos­tra-Leser Wern­er Bach­mann nach sein­er Pen­sion­ierung neue Betä­ti­gungs­felder gesucht. Er fand eines bei einem jun­gen Afgha­nen, dem er Sprach-Spar­ring­part­ner war: «Aus den anfänglichen wöchentlichen zwei Stun­den Deutsch-Tre­ff wurde mit der Zeit eine langjährige Beziehung, in der ich den jun­gen Mann durch viele schwierige Sta­tio­nen und Sit­u­a­tio­nen begleit­ete und unter­stützte.»

Schwierig war die Woh­nungssuche jedoch auch in diesem Fall: «Wir schaut­en unzäh­lige Woh­nun­gen an, schrieben unzäh­lige Bewer­bun­gen und wur­den zulet­zt von ein­er Ver­wal­tung berück­sichtigt.» Allerd­ings bestand die Ver­wal­tung darauf, dass Wern­er Bach­mann den Mietver­trag eben­falls unter­schrieb und als Bürge fungierte, der nöti­gen­falls den Miet­zins zu bezahlen hätte.

Einige Immo­bilien­ver­wal­tun­gen wollen keine Woh­nun­gen an Flüchtlinge ver­mi­eten und deklar­i­eren das offiziell.

Auch andere Leserin­nen und Leser bericht­en von pos­i­tiv­en Erfahrun­gen. Etwa Yvonne Chris­ten aus dem Bern­er Ober­land, deren Stu­dio im eige­nen Ein­fam­i­lien­haus leer stand. So hat sie sich kurz­er­hand bei der kan­tonalen Koor­di­na­tion­sstelle gemeldet. Seit anderthalb Jahren beherbergt sie nun ein junges Ehep­aar aus dem kur­dis­chen Nor­den Syriens. «Sie wer­den weit­er­hin bei uns wohnen. Gemein­sam teilen wir uns die Küche und das Wohnz­im­mer. So haben wir gemein­samen Raum zum Aus­tauschen, Schwatzen und Lachen.» Die Inte­gra­tion habe gut funk­tion­iert – der junge Syr­er kickt mit­tler­weile im örtlichen Fuss­ball­club.

… und solche, die scheiterten

Casanos­tra-Leserin Clau­dia Lan­der­er aus dem Kan­ton Zürich indes hat ihre Ini­tia­tive, eine syrische Flüchtlings­fam­i­lie logieren zu lassen, wieder aufgegeben. Schw­eren Herzens: Die ren­ovierte, grosszügige Woh­nung ist mit ein­er hohen Hypothek belastet. Eine Eini­gung mit dem zuständi­gen Sozialamt hin­sichtlich des Miet­zins­es war nicht möglich, obwohl von drit­ter Seite eine Mit­fi­nanzierung zugesichert war. «Es ist schon schw­er zu akzep­tieren, dass den Flüchtlin­gen in unser­er reichen Schweiz so viele bürokratis­che Hür­den in den Weg gestellt wer­den.» Ver­mi­etet ist die Woh­nung nun an ein anderes Sozial­pro­jekt – ein eben­falls staatlich finanziertes.

Eine Umfrage von casanos­tra hat jedoch mehrheitlich weit­ere Beispiele ergeben, welche gut funk­tion­ieren. Das mag auch daran liegen, dass die Unter­bringung der Flüchtlinge Kan­to­nen und Gemein­den obliegt. Das würde erk­lären, warum es hier unbürokratisch zu und her geht, dort das Prozedere hinge­gen hapern kann.

Politik ist gefragt

Klar ist indes auch, ganz ohne Hil­fe ist es Flüchtlin­gen schi­er unmöglich, eine Woh­nung zu find­en. SP-Nation­al­rätin Sil­via Schenker befasst sich beru­flich und poli­tisch seit langem mit der Frage: «Oft leben Flüchtlinge von der Sozial­hil­fe, weil es ihr prekär­er Sta­tus schwierig macht, eine Arbeit zu find­en. Die Ansätze der Sozial­hil­fe für Mieten sind jedoch sehr tief, was die Suche nach ein­er Woh­nung erschw­ert.»

Schwierig auch: Vor­läu­fig Aufgenommene haben kein dauer­haftes Bleiberecht. Für Ver­mi­eter indes ist es zumeist inter­es­san­ter, eine Woh­nung länger­fristig zu vergeben. Sil­via Schenker ist darum der Ansicht, dass der Sta­tus der vor­läu­fi­gen Auf­nahme über­ar­beit­et wer­den muss: «Die Erfahrung zeigt, dass viele vor­läu­fig aufgenommene Per­so­n­en eben doch langfristig in der Schweiz bleiben, weil eine Rückschaf­fung in ihr Herkun­ft­s­land nicht möglich ist.» Der Sta­tus «vor­läu­fige Auf­nahme» müsse diesem Umstand Rech­nung tra­gen und gehöre an die Real­ität angepasst. «Lei­der gibt es keinen poli­tis­chen Kon­sens, wie eine solche Lösung ausse­hen kön­nte. Die Arbeit­en dazu sind aber im Gang.»

Ob und wie jemand Flüchtlin­gen Wohn­raum anbi­etet, will über­legt sein. Sich Hals über Kopf in das Aben­teuer zu stürzen, kann schief laufen. Inter­es­sant jedoch: die Inte­gra­tion von Flüchtlin­gen scheint ins­ge­samt gut zu funk­tion­ieren, wie die kleine «casanostra»-Umfrage zeigt. Das Zusam­men­leben und das Miteinan­der mit Flüchtlin­gen ist nicht völ­lig unprob­lema­tisch; mit entsprechen­der gegen­seit­iger Bere­itschaft und Ver­ständ­nis jedoch ste­hen die Chan­cen gut, dass es gelingt und dur­chaus beflügel­nd sein kann.

Andreas Käser­mann