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Wenn Wohnen alles andere als selbstverständlich ist

Der Woh­nungs­markt in der Schweiz ist ein har­ter. Noch viel mehr als Mie­te­rin­nen und Mie­ter mit Schwei­zer- oder EU-Pass spü­ren dies vor­läu­fig auf­ge­nom­me­ne Flücht­lin­ge. Für sie mün­det die Woh­nungs­su­che mit­un­ter im Spiess­ru­ten­lauf.

aus casa­nos­t­ra 142

Casa­fair Schweiz

Sie kom­men aus Kriegs- und Kri­sen­re­gio­nen. Sie stam­men aus Syri­en, Irak, Afgha­ni­stan, Eri­trea, Liby­en – und so gut wie alle wären sie lie­ber zu Hau­se geblie­ben. Der Krieg, die Ver­fol­gung, die Unsi­cher­heit um Leib, Leben und Fami­lie hat sie fort­ge­trie­ben. Trotz gröss­ter Gefah­ren auf der Rei­se, trotz unge­wis­sem Schick­sal, trotz Tau­sen­den von Kilo­me­tern fah­ren sie – fast immer unter men­schen­un­wür­di­gen Umstän­den – nach Mit­tel­eu­ro­pa. In Län­der, die sie oft höchs­tens vom Hören­sa­gen ken­nen. Auch in die Schweiz. Hier ange­kom­men, haben sie zwar den Krieg hin­ter sich gelas­sen; es stel­len sich aber neue Pro­ble­me.

Irgendwie zu Hause – und irgendwie doch nicht

Der Tag kommt, an wel­chem ent­schie­den ist, wer blei­ben darf. Unwei­ger­lich. Auf Aner­kann­te Flücht­lin­ge war­tet dann die Woh­nungs­su­che. Und die ist bei­lei­be nicht immer ein­fach: «Eini­ge Immo­bi­li­en­ver­wal­tun­gen wol­len kei­ne Woh­nun­gen an Flücht­lin­ge ver­mie­ten und dekla­rie­ren das offi­zi­ell», sagt Moni­ca Rosen­berg von der Cari­tas Schweiz. Sie orga­ni­siert die dau­er­haf­te Unter­brin­gung von Flücht­lin­gen im Kan­ton Frei­burg und kennt deren Sor­gen aus dem Eff­eff. Der Kan­ton habe ver­ein­zelt Haus­ver­wal­tun­gen ver­pflich­tet, eine gewis­se Anzahl von erschwing­li­chen Woh­nun­gen in den gefrag­tes­ten Kate­go­rien anzu­bie­ten. «Das ist eine gute Pra­xis, die von ande­ren Ver­wal­tun­gen auf frei­wil­li­ger Basis ver­mehrt ange­wen­det wer­den soll­te.»

Der gröss­te Anteil der Flücht­lin­ge sei allein­ste­hend, sagt Rosen­berg. Es fehl­ten dar­um ganz beson­ders Stu­di­os und klei­ne Woh­nun­gen. «Am meis­ten man­gelt es an Woh­nun­gen im mitt­le­ren Preis­seg­ment, wel­che den kan­to­na­len Sozi­al­nor­men ent­spre­chen.» Die Erfah­rung zei­ge, dass, je urba­ner eine Regi­on, umso rascher eine geeig­ne­te Woh­nung für Flücht­lin­ge gefun­den wer­den kön­ne. Beson­ders in Wohn­blocks, wo der Wohn­raum in aller Regel bes­ser erschwing­lich sei. Aus­ser­dem sei die städ­ti­sche Infra­struk­tur von Vor­teil: «Wenn Woh­nun­gen all­zu abge­le­gen lie­gen und kaum mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln erreich­bar sind, kom­men sie nicht infra­ge für Flücht­lin­ge.»

Gelungene private Initiativen …

Neben der orga­ni­sier­ten, staat­li­chen Woh­nungs­su­che für Flücht­lin­ge gibt es zahl­rei­che pri­va­te Initia­ti­ven, die eben­falls gut funk­tio­nie­ren. Denn am Wil­len zu hel­fen, man­gelt es nicht. So hat etwa casa­nos­t­ra-Leser Wer­ner Bach­mann nach sei­ner Pen­sio­nie­rung neue Betä­ti­gungs­fel­der gesucht. Er fand eines bei einem jun­gen Afgha­nen, dem er Sprach-Spar­ring­part­ner war: «Aus den anfäng­li­chen wöchent­li­chen zwei Stun­den Deutsch-Treff wur­de mit der Zeit eine lang­jäh­ri­ge Bezie­hung, in der ich den jun­gen Mann durch vie­le schwie­ri­ge Sta­tio­nen und Situa­tio­nen beglei­te­te und unter­stütz­te.»

Schwie­rig war die Woh­nungs­su­che jedoch auch in die­sem Fall: «Wir schau­ten unzäh­li­ge Woh­nun­gen an, schrie­ben unzäh­li­ge Bewer­bun­gen und wur­den zuletzt von einer Ver­wal­tung berück­sich­tigt.» Aller­dings bestand die Ver­wal­tung dar­auf, dass Wer­ner Bach­mann den Miet­ver­trag eben­falls unter­schrieb und als Bür­ge fun­gier­te, der nöti­gen­falls den Miet­zins zu bezah­len hät­te.

Eini­ge Immo­bi­li­en­ver­wal­tun­gen wol­len kei­ne Woh­nun­gen an Flücht­lin­ge ver­mie­ten und dekla­rie­ren das offi­zi­ell.

Auch ande­re Lese­rin­nen und Leser berich­ten von posi­ti­ven Erfah­run­gen. Etwa Yvonne Chris­ten aus dem Ber­ner Ober­land, deren Stu­dio im eige­nen Ein­fa­mi­li­en­haus leer stand. So hat sie sich kur­zer­hand bei der kan­to­na­len Koor­di­na­ti­ons­stel­le gemel­det. Seit andert­halb Jah­ren beher­bergt sie nun ein jun­ges Ehe­paar aus dem kur­di­schen Nor­den Syri­ens. «Sie wer­den wei­ter­hin bei uns woh­nen. Gemein­sam tei­len wir uns die Küche und das Wohn­zim­mer. So haben wir gemein­sa­men Raum zum Aus­tau­schen, Schwat­zen und Lachen.» Die Inte­gra­ti­on habe gut funk­tio­niert – der jun­ge Syrer kickt mitt­ler­wei­le im ört­li­chen Fuss­ball­club.

… und solche, die scheiterten

Casa­nos­t­ra-Lese­rin Clau­dia Lan­de­rer aus dem Kan­ton Zürich indes hat ihre Initia­ti­ve, eine syri­sche Flücht­lings­fa­mi­lie logie­ren zu las­sen, wie­der auf­ge­ge­ben. Schwe­ren Her­zens: Die reno­vier­te, gross­zü­gi­ge Woh­nung ist mit einer hohen Hypo­thek belas­tet. Eine Eini­gung mit dem zustän­di­gen Sozi­al­amt hin­sicht­lich des Miet­zin­ses war nicht mög­lich, obwohl von drit­ter Sei­te eine Mit­fi­nan­zie­rung zuge­si­chert war. «Es ist schon schwer zu akzep­tie­ren, dass den Flücht­lin­gen in unse­rer rei­chen Schweiz so vie­le büro­kra­ti­sche Hür­den in den Weg gestellt wer­den.» Ver­mie­tet ist die Woh­nung nun an ein ande­res Sozi­al­pro­jekt – ein eben­falls staat­lich finan­zier­tes.

Eine Umfra­ge von casa­nos­t­ra hat jedoch mehr­heit­lich wei­te­re Bei­spie­le erge­ben, wel­che gut funk­tio­nie­ren. Das mag auch dar­an lie­gen, dass die Unter­brin­gung der Flücht­lin­ge Kan­to­nen und Gemein­den obliegt. Das wür­de erklä­ren, war­um es hier unbü­ro­kra­tisch zu und her geht, dort das Pro­ze­de­re hin­ge­gen hapern kann.

Politik ist gefragt

Klar ist indes auch, ganz ohne Hil­fe ist es Flücht­lin­gen schier unmög­lich, eine Woh­nung zu fin­den. SP-Natio­nal­rä­tin Sil­via Schen­ker befasst sich beruf­lich und poli­tisch seit lan­gem mit der Fra­ge: «Oft leben Flücht­lin­ge von der Sozi­al­hil­fe, weil es ihr pre­kä­rer Sta­tus schwie­rig macht, eine Arbeit zu fin­den. Die Ansät­ze der Sozi­al­hil­fe für Mie­ten sind jedoch sehr tief, was die Suche nach einer Woh­nung erschwert.»

Schwie­rig auch: Vor­läu­fig Auf­ge­nom­me­ne haben kein dau­er­haf­tes Blei­be­recht. Für Ver­mie­ter indes ist es zumeist inter­es­san­ter, eine Woh­nung län­ger­fris­tig zu ver­ge­ben. Sil­via Schen­ker ist dar­um der Ansicht, dass der Sta­tus der vor­läu­fi­gen Auf­nah­me über­ar­bei­tet wer­den muss: «Die Erfah­rung zeigt, dass vie­le vor­läu­fig auf­ge­nom­me­ne Per­so­nen eben doch lang­fris­tig in der Schweiz blei­ben, weil eine Rück­schaf­fung in ihr Her­kunfts­land nicht mög­lich ist.» Der Sta­tus «vor­läu­fi­ge Auf­nah­me» müs­se die­sem Umstand Rech­nung tra­gen und gehö­re an die Rea­li­tät ange­passt. «Lei­der gibt es kei­nen poli­ti­schen Kon­sens, wie eine sol­che Lösung aus­se­hen könn­te. Die Arbei­ten dazu sind aber im Gang.»

Ob und wie jemand Flücht­lin­gen Wohn­raum anbie­tet, will über­legt sein. Sich Hals über Kopf in das Aben­teu­er zu stür­zen, kann schief lau­fen. Inter­es­sant jedoch: die Inte­gra­ti­on von Flücht­lin­gen scheint ins­ge­samt gut zu funk­tio­nie­ren, wie die klei­ne «casanostra»-Umfrage zeigt. Das Zusam­men­le­ben und das Mit­ein­an­der mit Flücht­lin­gen ist nicht völ­lig unpro­ble­ma­tisch; mit ent­spre­chen­der gegen­sei­ti­ger Bereit­schaft und Ver­ständ­nis jedoch ste­hen die Chan­cen gut, dass es gelingt und durch­aus beflü­gelnd sein kann.

Andre­as Käser­mann