Sauberen Strom von Nachbars Dach beziehen
Mit dem neuen Energiegesetz eröffnen sich seit Anfang Jahr neue Möglichkeiten: Wer den eigenen, überschüssigen Solarstrom direkt verkaufen will, darf dies nun überall tun.
Seit einigen Wochen gilt, was das Stimmvolk voriges Jahr in der Abstimmung über die Energiestrategie 2050 beschlossen hat. Der Weg bis zur Abschaltung des letzten AKW ist gewiss noch lang; die ersten Schritte sind jedoch gemacht.
Besonders interessant sind die neuen Gesetzesbestimmungen für Besitzende von Solaranlagen: Ihnen gewährt das Energiegesetz mehr Spielraum, wie Daniel Büchel, Vizedirektor des Bundesamts für Energie ausführt: «Neu ist das Recht, einen Zusammenschluss zum Eigenverbrauch zu bilden, explizit im Gesetz verankert.» Damit sei die Schaffung sogenannter Eigenverbrauchsgemeinschaften nicht mehr abhängig davon, ob der lokale Stromversorger solche zulässt oder nicht.
Bislang waren die Stromanbieter in der Tat frei, dies zu verbieten. Die Folge war, dass der eigene, überschüssige Solarstrom ins Netz eingespeist und später – etwa während der Nacht – wieder vom Elektrizitätswerk bezogen werden musste. Mitunter mit saftiger Marge. Besonders attraktiv wurde die Installation einer grösseren Solaranlage darob freilich nicht.
Mit dem neuen Gesetz wird dies behoben: Der überschüssige Solarstrom muss nicht mehr an den Stromversorger verkauft, sondern kann in die Leitungen der Mitbewohner, Mieterinnen oder Nachbarn geleitet werden. Dank cleverer Zeitpläne laufen dann die Boiler und Wärmepumpen nicht mehr zur Nachtstromzeit, sondern tagsüber. Wenn dennoch Strom unverbraucht bleibt, muss dieser nach neuem Gesetz vom abnehmenden Stromversorger «angemessen» vergütet werden.
Solarstromproduktion wird interessanter
Die neuen Möglichkeiten dürften eine Investitionsbremse lösen. Auch leistungsfähigere Photovoltaik-Anlagen können rentabel betrieben werden. Das Bundesamt für Energie rechnet denn auch mit einem Zuwachs: «Generell erwarten wir einen Anstieg beim Zubau der Photovoltaik, da mit dem neuen Energiegesetz auch mehr Fördermittel zur Verfügung stehen. Die neuen Möglichkeiten bei Eigenverbrauchsgemeinschaften werden dabei sicher eine wichtige Rolle spielen», sagt BFE-Vizedirektor Daniel Büchel. Das Interesse an individualisierter Stromversorgung sei jedenfalls vital.
Gute Erfahrungen hat Architekt und Baubiologe Hannes Heuberger bei der Errichtung einer Eigenverbrauchsgemeinschaft im Mehrfamilienhaus gemacht. «Der Aufbau dauerte zwar etwas länger als erwartet, da alle Beteiligten Neuland beschritten haben.» Letztlich sei aber die Umstellung problemlos verlaufen. «Die grösste Herausforderung bei der Einrichtung besteht darin, die möglichen Teilnehmenden davon zu überzeugen, dass sie Teil eines fantastischen Projektes werden, mit Solarstrom CO²-freie Energie beziehen und damit zur Entschärfung der Umweltproblematik aktiv beitragen können.»
Heubergers Solaranlage deckt den Stromverbrauch seiner Liegenschaft mit fünf Einheiten. Den Überschuss des Tages möchte er lieber nicht einspeisen, sondern ihn speichern und nachts selber verwenden. Bloss: Die Speicherung ist der grosse und kostspielige Knackpunkt des Konzepts. «Ich müsste in meinem Objekt noch rund 15 000 Franken investieren.» Er hege jedoch die Hoffnung, dass in naher Zukunft die Speicherpreise rasch und stark sinken werden.
Die Abrechnung des eigenen Stroms sowie die Kostenverteilung des Bezugs aus dem lokalen Stromnetz ist gemäss neuem Energiegesetz Sache der Eigenverbrauchsgemeinschaft. Dafür bedarf es der Installation neuer Stromzähler und eventuell neuer Verdrahtungen. Ein Kostenpunkt, der im Fall von Hannes Heubergers Projekt überschaubar ist: 1500 Franken bei 5 Messstellen.
Derzeit ist nicht absehbar, dass Photovoltaik das Zeug hat, die Strompreise stark ins Rutschen zu bringen. Zu gering ist ihr Marktanteil noch: 3 Prozent des letztjährigen Schweizer Verbrauchs kam laut Bundesamt für Energie von Solardächern, allerdings mit klar steigender Tendenz. Jedoch: «Auf den europäischen Strommärkten ist bereits seit einigen Jahren zu beobachten, dass die Preise zu Zeiten mit grosser Einspeisung von Photovoltaikanlagen (z. B. am Mittag) gegenüber früher tiefer sind», sagt BFE-Vizedirektor Daniel Büchel.
Andreas Käsermann