Reservationspflicht fällt durch

25. Feb­ru­ar 2021 | VCS-Mag­a­zin

© SBB CFF FFS

Wer das Velo im Inter­ci­ty mit­nehmen will, muss kün­ftig vorher einen Platz reservieren – anson­sten ist End­sta­tion an der Per­ronkante. Doch die neue Pflichtreser­va­tion wird nicht goutiert. Dies zeigen die Ergeb­nisse ein­er VCS-Umfrage.

aus VCS-Mag­a­zin 1/2021

© VCS Schweiz

Als Aus­lös­er für die neue Reser­va­tion­spflicht beim Velover­lad nen­nen die SBB die Sit­u­a­tion im let­zten Som­mer. «Im Spitzen­monat Juli 2020 wur­den rund 80 000 Velo tageskarten verkauft, was ein­er Zunahme von rund 45 Prozent im Ver­gle­ich zum Vor­jahr entspricht», schreiben die SBB auf ihrer Web­site. Auf den am stärk­sten nachge­fragten Streck­en (Zürich−Bern und Bern−Brig) seien im ver­gan­genen Juli rund 15 000 Fahrräder im Selb­stver­lad trans­portiert wor­den.

Die Bahn­be­triebe wur­den von der grossen Nach­frage offe sichtlich über­rumpelt und stiessen an Kapaz­itäts­gren­zen. Zum Bersten voll waren die den Velos zugewiese­nen Plätze; mitunter kon­nten geplante Fahrten nicht ein­mal ange­treten wer­den. Das führte zu Unzufrieden­heit und hat die SBB auf den Plan gerufen: Mit der Reser­va­tion­spflicht wolle man ein­er­seits eine Über­be­ladung ver­hin­dern und ander­er­seits das Verkehrsaufkom­men bess­er ein­schätzen kön­nen. Verkauft wird das Ganze als «kun­den­fre­undlicheres Ange­bot».

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Verlust der Spontanität

Dies sieht die velo­fahrende Bahn­klien­tel freilich anders. Eine bre­it angelegte Umfrage des VCS zeigt klare Vor­be­halte: «63 Prozent der Befragten lehnen die Reser­va­tion­spflicht ab», sagt Lau­ra Schmid, Pro­jek­tlei­t­erin Verkehrspoli­tik beim VCS Schweiz. Dabei stün­den zwei Motive im Vorder­grund: «Der Haupt­grund ist der Ver­lust der Spon­tan­ität und Flex­i­bil­ität bei Velo­touren. Weil Ziel und Zeit­plan ein­er Velo­tour oft im Voraus nicht bekan­nt sind, wird die Reser­va­tion­spflicht als Ein­schränkung betra­chtet.»

Ein zweit­er, häu­fig genan­nter Grund sei, dass die Reser­va­tion­spflicht den Zugang zum öffe tlichen Verkehr (ÖV) behin­dere und umständlich­er gestalte: «Es braucht mehr Bil­lette. Beson­ders bei Reisen mit mehreren Anschlusszü­gen macht die Reser­va­tion­spflicht das Bah­n­fahren mit dem Velo kom­plex­er.»

Reservation O. K. – aber …

Rund ein Drit­tel der Befragten könne indes mit ein­er Reser­va­tion­spflicht leben, sofern einige Bedin­gun­gen erfüllt wer­den, erläutert Schmid: «Die Mass­nahme darf höch­stens ein­ma­lig und als vorüberge­hen­des Mit­tel einge­set­zt wer­den, um den Kapaz­ität­sen­g­pässen im kom­menden Som­mer zu begeg­nen.» Die Reser­va­tion muss zudem unkom­pliziert und bis kurz vor Abfahrt sowohl online, via App als auch am Schal­ter oder am Bil­let­tau­to­mat­en möglich sein. Der Veloselb­stver­lad darf ausser­dem durch die Reser­va­tion­spflicht nicht teur­er wer­den und Reser­va­tio­nen sollen ein­fach aufge­hoben wer­den kön­nen, um den Velo platz bei Nicht­ge­brauch wieder freizugeben.

Die Bahn­be­triebe wur­den von der grossen Nach­frage offen­sichtlich über­rumpelt und stiessen an Kapaz­itäts­gren­zen. Nicht immer kon­nten geplante Fahrten ange­treten wer­den.

Fern­er müsse mit einem Reser­va­tion­szwang auch ein freier Platz fürs Velo garantiert sein, nen­nt Schmid eine weit­ere Forderung, welche aus der Umfrage her­vorge­ht: «Dies st heute häu­fig nicht gegeben, da oft zu viele Velos im gle­ichen Zug mit­ge­führt wer­den, und zudem die Velo­plätze nicht sel­ten durch Gepäck und Kinder­wa­gen zugestellt wer­den.» Immer­hin stellen die SBB mit der Reser­va­tion eine solche Platz­garantie in Aus­sicht.

SBB stehen in der Pflicht

Die Reser­va­tion­spflicht ist jedoch bloss eine ein­seit­ige Mass­nahme zu Las­ten der Velo­fahren­den. Die Bahn­be­triebe kom­men nicht umhin, die Kapaz­ität­sen­g­pässe aus eige­nen Kräften zu bewälti­gen. Aus der VCS-Umfrage gin­gen einige Ideen her­vor: etwa die Wiedere­in­führung der reinen Gepäck-Bah­n­wa­gen oder Ent­las­tungszüge auf den stark fre­quen­tierten Streck­en während der Hoch­sai­son.

Die SBB ver­sprechen tat­säch­lich einen Ange­bot­saus­bau und pla­nen auf den wichtig­sten Verbindun­gen zusät­zliche Velo­plätze: «An Spitzen­t­a­gen sollen die Veloka­paz­itäten auf den Hauptlin­ien – zum Beispiel ins Wal­lis oder nach Graubün­den – teil­weise ver­dreifacht wer­den.» Dieser Aus­bau würde bere­its heuer angestrebt; man sei aber abhängig von Roll­ma­te­ri­al­liefer­un­gen, schreiben die SBB weit­er.

Erfreulich, find­et VCS-Pro­jek­tlei­t­erin Schmid, denn der Trend zum Fahrrad gewinne weit­er an Fahrt: «Kön­nen Velos nicht mit der Bahn trans­portiert wer­den, so wird auf den motorisierten Indi­vid­u­alverkehr aus­gewichen. Dies wider­strebt dem Ziel der stärk­eren Ver­lagerung des Freizeitverkehrs auf den ÖV.» Die SBB anerken­nen die steigende Nach­frage, erin­nern jedoch auch an die Gren­zen der Möglichkeit­en: «Die Kapaz­itäten für Velos kön­nen nicht beliebig aus­ge­baut wer­den. Dies gin­ge zu Las­ten des Sitz­platzange­bots.»

Die VCS-Umfrage zum Veloselbstverlad

Die Mei­n­ung­sum­frage des VCS zur Reser­va­tion­spflicht im Veloselb­stver­lad lief online vom 3. bis 13. Dezem­ber 2020. Ins­ge­samt nah­men 4617 Per­so­n­en aus allen Lan­desteilen an der Befra­gung teil, welche allen inter­essierten Per­so­n­en offen­stand.

91 Prozent aller Per­so­n­en, die an der Umfrage teilgenom­men haben, nutzen den Veloselb­stver­lad im öffentlichen Verkehr. 15 Prozent nutzen das Ange­bot min­destens mehrmals pro Monat, 5 Prozent für mehr als eine Fahrt pro Woche. Der Löwenan­teil (44 Prozent) ver­lädt das Rad mehrmals jährlich ein knappes Drit­tel weniger häu­fig. Der Velo­trans­port im Zug ist ins­beson­dere während der Som­mer- und Ferien­zeit ein äusserst beliebtes Bah­nange­bot: Im Juli 2019 haben die SBB 46 000 Velotageskarten verkauft – im Aus­nahme­som­mer let­zten Jahres waren es gar deren 80 000.

Forderung nach mehr Mitsprache

Die VCS-Umfrage zeigte ausser­dem: Velo­fahrende fühlen sich nur ungenü­gend in die Pla­nung des Bahn­be­triebs ein­be­zo­gen. «Bei der Bestel­lung von Roll­ma­te­r­i­al und bei der Betrieb­s­gestal­tung wird kaum auf die Befnisse der Velo­fahren­den Rück­sicht genom­men», resümiert Schmid. «Ger­ade Kun­den­in­for­ma­tion­ssys­teme oder Beschilderun­gen am Bahn­hof lassen Rad­fahrende oft atlos zurück.»

Die Velo­fahrerin­nen und Velo­fahrer wün­scht­en sich darum besseres Gehör. So sei im Rah­men der Umfrage häu­fig die Forderung gestellt wor­den, Velo­fahrende regelmäs­sig zu begrüssen und bei Entschei­dun­gen frühzeit­ig einzubeziehen, sagt Schmid: «Es müsste auch im Sinne der SBB sein, dass sich Rad­fahrende am Bahn­hof gut zurecht f inden und nicht erst bei Zug­se­in­fahrt bemerken, wo die Ver­lade­plätze bere­it­ste­hen, um diese dann in aller Eile aufzusuchen.»

Derzeit arbeit­en die SBB an der Aus­gestal­tung der tech­nis­chen und finanziellen Modal­itäten in der Causa Reser­va­tion­spflicht. Der VCS und die weit­eren Velo-Inter­essen­ver­bände sollen im Früh­jahr ein­be­zo­gen wer­den. Ein dur­chaus sportlich­er Fahrplan mit mäs­sigem Spiel­raum: denn der Reser­va­tion­szwang im Veloselb­stver­lad soll bere­its ab 21. März 2021 gel­ten …

Andreas Käser­mann