«Ready to rumble»

2. Juni 2017 | Läng­gass­blatt

Länggassblatt© Läng­gass­blatt

Am 24. Juni lebt im Restau­rant Map­pa­mon­do die alte Box-Tra­di­tion wieder auf: Um nicht weniger als drei Titel geht es, wenn die Berner­in Aniya Seki und Eva Vor­aberg­er aus Öster­re­ich aufeinan­dertr­e­f­fen. Das Läng­gass­blatt hat die Lokalmata­dorin getrof­fen.

aus Läng­gass­blatt 245

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Es ist eine etwas andere Welt, die betritt, wer den Box­club Bern auf­sucht. Es riecht schon beim Ein­gang recht streng. Hier ist unverkennbar mehr als ein­er am Schwitzen. Das Schild, das man erspäht, geheisst einem, gle­ich hier die Strassen­schuhe zu deponieren – die Emp­fangs­theke fol­gt erst einige Meter später. Immer­hin ist damit klar, was wie und in welch­er Rei­hen­folge zu geschehen hat.

Im offe­nen Train­ingsraum ächzt ein gutes Dutzend Boxbegeis­terte, welche die betont gut hör­baren Kom­man­dos des Train­ers umzuset­zen ver­suchen. Die Hiebe wer­den abwech­slungsweise aus­ge­führt – jed­er einzelne Schlag ver­tont mit einem Zis­chen, so dass es klingt, als ob sich Bugs Bun­ny und Duffy Duck ver­prügeln wür­den. Bloss flösst die Szene hier doch etwas mehr Respekt ein als der pro­fane Car­toon.

An den Wän­den des Box­clubs prangen ästhetis­che Schwarzweiss-Auf­nah­men von Boxkämpfen ver­gan­gener Tage. Ich ver­suche ein paar bekan­nte Cham­pi­ons zu erken­nen – gelin­gen tut’s mir nicht; vielle­icht ob mein­er rudi­men­tären Ken­nt­nis – vielle­icht auch, weil «zwe Box­er im Ring» nicht in allen Fällen vorteil­haft abgelichtet wer­den kön­nen. Wenig­stens ist da noch das Plakat, das Laien bei Bedarf mit grossen Let­tern nach­hil­ft und welch­es auf einen Kampf von Club­fa­voritin Aniya Seki hin­weist.

Let­ztere trainiert zur Stunde eben­falls im Box­club. Freilich nicht zusam­men mit der grossen Gruppe son­dern gle­ich nebe­nan. Im separi­erten Raum ist eine Wand – einem Bal­lettstu­dio gle­ich — kom­plett ver­spiegelt. Der Zweck ist zwar der­selbe; in den widergegebe­nen Bewe­gun­gen geht es hier jedoch erhe­blich mar­tialis­ch­er zu und her als beim Spitzen­tanz.

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Boxen mit dem Kopf

Dabei gibt es dur­chaus Par­al­le­len, wie mir Aniya Seki nach dem Train­ing beim Coci Zero erzählt. Das «bru­tale Box­en» — wie sie es nen­nt – sei nicht ihr Ding: «Box­en ist für mich Kun­st. Ich inter­essiere mich nicht für das rein kraft­be­tonte Box­en. Viel span­nen­der ist die schnelle Bewe­gung und die Über­raschung. Ich boxe mehr mit dem Kopf als mit den Fäusten.» Das habe sie von ihrem Train­er Bruno Arati – sel­ber eine ges­tandene Box-Koryphäe – erlernt.

Dass die 38jährige Seki heute über­haupt boxt, ist einem Zufall zu ver­danken. Als Tochter ein­er Schweiz­er Mut­ter und einem japanis­chen Vater im Land der aufge­hen­den Sonne zur Welt gekom­men war Box­en nicht die nahe­liegende Sportkar­riere: «Ich habe im Kinder­gartenal­ter mit Judo begonnen und später mit Karate weit­ergemacht. Mit 27 Jahren habe ich dann mal aus reinem Gwun­der ein Box­train­ing besucht. Es war eher eine spon­tane Idee.» Aus der mün­dete ein ver­hält­nis­mäs­sig später Ein­stieg ins Profi­box­en: Mit 27 denken Box­er eher ans Aufhören als ans Anfan­gen. Nichts­destotrotz schlägt sich Aniya Seki seit ihrem Debut 2008 wack­er: Sie trug bere­its mehrere Welt­meis­tergür­tel – als erste Frau mit Schweiz­er Boxl­izenz – und wurde von der Bern­er Zeitung auch schon als «beg­nadete Box­erin» apos­tro­phiert.

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Rumble im Schweizerbund

Dass sie es noch kann, will Aniya Seki am 24. Juni 2017 erneut beweisen. Dann tritt sie gegen die 27jährige Wiener­in Eva Vor­aberg­er an und kämpft um nicht weniger als drei Titel in der Gewicht­sklasse «Ban­tam» bis 53.5 kg. Notabene in der Läng­gasse: Der Kampf wird im Map­pa­mon­do aus­ge­tra­gen. Wie früher, als das Map­pa­mon­do noch Schweizer­bund hiess und ein Box-Hotspot war. Schweizweit bekan­nte Grössen wie etwa Bruno Arati oder «Rocky» Enri­co Scac­chia trat­en im Schweizer­bund an. (Siehe auch Artikel unten)

«Für mich ist da auch ein Stück Heimat», sagt Aniya Seki. «Ich ging im Läng­gasss­chul­haus zur Schule und habe im Quarti­er meine ganze Jugend ver­bracht.» Gewohnt habe sie damals an der Läng­gässstrasse, in unmit­tel­bar­er Nach­barschaft zum Map­pa­mon­do. «Tagsüber war ich im Tagesheim bei der Uni­to­bler, wo auch meine Mut­ter arbeit­ete und es heute noch tut.» Die «Frau Seki» sei dort dur­chaus eine Insti­tu­tion.

Nun ste­ht also mit dem anste­hen­den Kampf eine beson­dere Rück­kehr an. Speziell nervös sei sie aber deswe­gen nicht. «Das kommt dann am Tag des Kampfes. Da bin ich immer sehr aufgeregt.» Dann bleibe sie jew­eils tagsüber zu Hause. Die let­zten Vor­bere­itun­gen seien immer diesel­ben: «Es sind Rit­uale, mit denen ich mich beruhige. Ich höre Musik, packe meine Taschen, set­ze mich hin und atme bewusst. So kann ich zur Ruhe kom­men.»

Eine gute Vor­bere­itung sei wichtig. Sie müsse sich vor dem Kampf auch auf ein anderes Box­en ein­stellen, als sie es im Train­ing prak­tiziert: «Im Ring muss ich böse sein. Jeden Hieb, den nicht ich sel­ber austeile, muss ich ein­steck­en. Es gibt im Kampf kein Par­don. Das ist schon eine andere Art des Box­ens als es mir mein Train­er ver­mit­telt.»

Aniya Seki kann dur­chaus unter­schätzt wer­den. Sie wirkt zier­lich und wer mit ihr spricht, jedoch nicht weiss was sie macht, würde ihr wohl kaum die Profi­box­erin anse­hen. «Das ist meine Spezial­ität», lacht sie. «Mir gefällt das. Viele beurteilen andere Men­schen nach ein­er vorge­fassten Mei­n­ung und liegen dann oft völ­lig falsch. Aber das ist let­ztlich deren Prob­lem. Es gibt ja kein Schema, wonach nur eine muskel­bepack­te Mas­chine box­en kann.»

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Boxen wie die alten Champs

Sie halte es lieber so, wie die grossen Schweiz­er Box-Leg­en­den. Jene, die hierzu­lande langfristig Erfolg hät­ten und teils noch heute im Sport zu Hause sind, wür­den in der Tra­di­tion von Char­ly Büh­ler box­en. Der hat Mitte der 1950er-Jahre den damals bere­its seit zwei Jahrzehn­ten beste­hen­den Club des rus­sis­chstäm­mi­gen David Avrutschenko über­nom­men – in eben­so direk­ter wie nobler Nach­barschaft des Hotels Belle­vue.

In der Ära Büh­ler stiegen unter dessen Fit­tichen klin­gende Namen wie Enri­co Scac­chia, Max Hebeisen und «die Bern­er Fliege» Fritz Chervet aus dem Train­ingskeller in den Ring – und feierten Erfolge in Serie. Büh­ler war das Mass der Schweiz­er Boxszene und seine Crew von 1959 bis 1970 in unun­ter­broch­en­er Rei­hen­folge Mannschaftsmeis­ter.

Auch Sekis Train­er Bruno Arati ist ein Zögling Büh­lers und gebe ihr weit­er, was er bei seinem Men­tor erlernt habe. «Das halte ich in Ehren», sagt Seki nicht ganz ohne Ehrfurcht. «Es ist höchst span­nend von den alten Meis­tern zu ler­nen und deren bewährtes Wis­sen sel­ber auch wieder weit­erzugeben. Da bin ich ganz die tra­di­tions­be­wusste Japaner­in.»

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Sport als Therapie

Seki geht jedoch auch neue Wege. So leit­et sie Train­ings unter­schiedlich­er Art. Ins­beson­dere auch solche mit Parkin­son-Patien­ten. Mit speziellen Work­outs ohne Kör­perkon­takt, welche typ­is­che Symp­tome der Ner­venkrankheit lin­dern kön­nen. Auch ihr per­sön­lich war Box­en bere­its Ther­a­pie: Mitte zwanzig suchte sie den Ausweg aus der Ess-Brech-Sucht und fand ihn im Boxs­port.

Als Trainer­in arbeit­et Seki nicht zulet­zt aus finanziellen Grün­den. «Es gibt nur eine Hand­voll Box­er, welche vom Sport leben kön­nen.» Und beim Frauen­box­en stün­den die wirtschaftlichen Chan­cen gle­ich noch ein­mal ein Tick schlechter. «Finanziell kommt man als Profi­box­erin durch, wenn man gewil­lt ist, neben den täglichen Train­ings zu arbeit­en.» Aber sparsam leben, das sei schon Bedin­gung; in die Ferien zu ver­reisen meist unmöglich.

Mitunter mag dieser Umstand auch darin grün­den, dass das brachiale Box­en eine Män­ner­domäne ist. «Das ist zwar bedauer­lich, aber vorder­hand auch nicht zu ändern.» Diskri­m­iniert füh­le sie sich deswe­gen jeden­falls nicht. Abge­se­hen davon sei dies keine Erschei­n­ung des Boxs­ports, son­dern ein Prob­lem der ganzen Gesellschaft. «Let­ztlich haben wir aber schon viel erre­icht in der Besei­t­i­gung der Ungle­ich­heit zwis­chen den Geschlechtern. Auch wenn wir noch nicht am Ziel sind, so sind wir doch schon viel weit­er als noch vor zwanzig, dreis­sig Jahren.»

Das Grup­pen-Train­ing im Box­club neigt sich dem Ende zu. Die Frauen und Män­ner – soeben noch Kon­tra­hen­ten – klatschen mit einem dumpfen Geräusch ihre dick gepol­sterten Hand­schuhe zusam­men, lächeln einan­der an, klopfen sich fre­undlich auf die Schul­tern. Auch Aniya Seki muss weit­erziehen. Ihr Mobil­tele­fon mah­nt sie an weit­ere Verabre­dun­gen. Seki ist gefragt und entsprechend vielbeschäftigt diese Tage – sie zu kon­tak­tieren, nicht eben ein­fach: Die rap­pelvolle Com­box nimmt keine neuen Nachricht­en mehr an. Wer die Profi­box­erin nicht gle­ich live am Draht hat, muss es wieder und wieder ver­suchen. Hart­näck­igkeit gewin­nt. Fast wie im Box­en.

Andreas Käser­mann

Bern ist die Box-Hauptstadt der Schweiz

In Bern sind zahlre­iche Box-Cham­pi­ons gross gewor­den. Ihre ersten Erfolge feierten nicht wenige in der Läng­gasse. Reporter-Leg­ende Albi San­er erin­nert sich an die Kult-Meet­ings im «Schweizer­bund» — dem heuti­gen Restau­rant «Map­pa­mon­do» — von welchen er für die Blät­ter zwis­chen Bern­er Ober­land und Bun­desstadt eben­so berichtete wie für die nationale Sport­in­for­ma­tion:

«Der «Schweizer­bund» und der Boxs­port — das passte während der Blütezeit­en des Ath­letik Box Clubs Bern mit dem leg­endären Char­ly Büh­ler als ver­siertem Coach und seinem Assis­ten­ten Alfons Bütler. Die eher kleinen, aber feinen Boxmeet­ings in den 70er- bis 90er-Jahren des Bern­er «Box­pro­fes­sors» waren beliebt — für Schweiz­er Ama­teurmeis­ter­schaften genau­so wie für Profikämpfe – etwa mit Enri­co Scac­chia.

Die Bern­er Staffel (u.a. mit den Gebrüdern Wal­ter, Ernst, Paul und Fritz Chervet) war zu jen­er Zeit schweizweit führend. Der charis­ma­tis­che Büh­ler bot kom­menden Stars im Schweizer­bund die Möglichkeit, sich einem kleineren Pub­likum zu zeigen und sich auf grössere Ereignisse vorzu­bere­it­en, sei es im Bier­hü­be­li oder Kur­saal.

Der Saal war damals noch bedeu­tend gröss­er und absoluter Kult: Die Platzver­hält­nisse waren eng – die Box­er bere­it­eten sich im Untergeschoss vor. Während den Kämpfen wurde ger­aucht und gele­gentlich flo­gen Stüh­le Rich­tung Ring. Die Atmo­sphäre war auch darum unver­gle­ich­lich, weil die Zuschauer (und die nur weni­gen Zuschauerin­nen) nahe am Geschehen sassen oder standen.