Fossiles ins Museum – nicht in den Tank
Klimaziele im Verkehrssektor erreichen – geht das? Klar, sagt eine Mobilitätsstudie der Forschungsstelle Infras. Ebenso klar zeigt die Untersuchung jedoch auf: Wir müssen uns gehörig sputen, um den Zug in Richtung Netto-Null nicht zu verpassen.
Auf Schweizer Strassen liegt wahrlich noch viel Potenzial, um den Ausstoss von Treibhausgasen zu reduzieren: Rund ein Drittel der jährlich 50 Millionen Tonnen in der Schweiz ausgestossenen klimaschädlichen Gase werden im Strassenverkehr verpufft. Offensichtlich: Es gibt dringenden Handlungsbedarf, um die CO2-Emissionen auch im Verkehr zu senken.
Der VCS hat darum das unabhängige Zürcher Forschungsbüro Infras mit der Berechnung von Verkehrsszenarien beauftragt. Die Fragestellung: «Welcher Massnahmen bedarf es, damit die Schweiz bis spätestens 2050 ohne Benzin und Diesel mobil ist – und damit den Pariser Klimazielen gerecht wird?» Zu ebendiesen hat sich die Schweiz 2015 verpflichtet. Die Stimmbevölkerung hat dieses Klimaabkommen am 13. Juni mit dem Nein zum CO2-Gesetz auch keineswegs infrage gestellt – bloss ein entsprechendes Massnahmenpaket. Und auch dies äusserst knapp.
Der steinige Weg
Fraglos wäre der Rückenwind des CO2-Gesetzes hilfreich gewesen. Aber es geht auch ohne – wenn der politische Wille da ist. Die Grosswetterlage scheint allen Widerwärtigkeiten zum Trotz günstig: Vertraut man den gemässigt bürgerlichen Kräften im Bundeshaus und deren Leitmedien, so lässt sich aus dem Trümmerfeld des versenkten CO2-Gesetzes noch das eine oder andere retten. Auch das Modell einer Lenkungsabgabe scheint nicht abwegig – so sie denn vom zu äufnenden «Klimafonds» befreit wird, welcher liberalen Gemütern offe sichtlich suspekt war und allzu sehr nach diffusem Subventionstopf roch. Das wäre zumindest ein Anfang.
Alleine genommen genügt das Instrument jedoch nicht: Das Infras-Autorenteam kommt denn auch zum Schluss: «Fossilfreier Verkehr in der Schweiz ist machbar – der Weg dahin ist allerdings sehr ambitioniert.» Ob er gelingt, wird auch eine Frage des Zeithorizonts sein.
Sportlicher Fahrplan
Im besten Fall gelänge der Ausstieg aus Benzin und Diesel bis ins Jahr 2030. Es ist aber unwahrscheinlich, dass die Erneuerung des Schweizer Fahrzeugparks rechtzeitig so viel Fahrt aufnimmt. Zudem bedingt ein derart sportliches Ziel gemäss Infras-Studie, dass die Nachfrage beim öffentlichen Verkehr (ÖV) sowie beim Fussund Veloverkehr innerhalb von weniger als zehn Jahren verdoppelt wird. «Diese Kapazitäten kann die Infrastruktur insbesondere im ÖV in dieser kurzen Zeit nicht bereitstellen», sagt Studienautor Daniel Sutter. Ebenfalls illusorisch machen den Ausstieg bis 2030 die dafür benötigten Mengen an synthetischen Treibstoffe und der damit verbundene Energiebedarf. Realistischer bewertet Sutter das Szenario, bis 2040 fossilfrei vorwärtszukommen. Ein Maibummel wird jedoch auch dies nicht: «Das ist technisch umsetzbar, bedarf aber einschneidender und rasch wirkender zusätzlicher Anstrengungen. Denn mit technologischer Entwicklung alleine wäre die Fossilfreiheit bis 2040 nicht zu erreichen.»
So müssten Benzin und Diesel stark verteuert oder verboten werden. «Parallel dazu müssten Strom und Energieträger wie etwa synthetische Treibstoffe in grossen Mengen bereitgestellt werden.» Dies bedürfe eines kräftigen Ausbaus der Produktionskapazitäten von erneuerbarem Strom, um genügend nichtfossilen Treibstoff im In- und Ausland herstellen zu können.
Die Vorwärtsstrategie des VCS
Die unabhängige Studie untermauert unmissverständlich: Weitermachen wie weiland geht nicht. Der VCS leitet aus den wissenschaftlichen Vorschlägen einen Masterplan ab, wie der fossilfreie Verkehr erreicht werden soll. Er enthält durchaus auch Massnahmen, welche im CO2-Gesetz Schiffbruch erlitten, die aber das Potenzial zur Mehrheitsfähigkeit haben – sofern sie um besonders umstrittene Supplements erleichtert werden. Das Paradebeispiel hiefür ist die CO2-Abgabe auf Treibstoffe.
Daneben schlägt der Masterplan zahlreiche weitere Massnahmen vor. Auch Tempo 30 als Innerorts-Limit. «Dies fordert der VCS bereits seit Jahren», sagt Stéphanie Penher, Leiterin Verkehrspolitik beim VCS. «Tempo 30 wirkt indirekt auf das Klima, weil der Umstieg aufs Fahrrad attraktiver und der Veloverkehr sicherer wird.»
Zündstoff bergen indes einschneidende Massnahmen wie etwa jene eines Zulassungsstopps für neue Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Ein solches Immatrikulationsverbot wäre hochwirksam, meint Penher, man sei sich jedoch der Brisanz dieses Vorschlags gewahr: «Knackpunkt dürfte dabei auch der Termin sein: Ein Verbot müsste ob der Langlebigkeit des Fahrzeugparks beizeiten in Kraft treten. Selbst dann sind noch jahrelang Benziner und Diesler auf Schweizer Strassen unterwegs.» Der VCS schlägt darum vor, die Zulassung neuer Verbrenner-PW ab 2030 zu verbieten.
Dass sich der VCS auch im Angesicht des versenkten CO2-Gesetzes intensiv mit der Erfüllung der Klimaziele auseinandersetzt und sich auch an weniger populäre Massnahmen traut, zeuge nicht von Sturheit, sondern von Realitätssinn, meint Penher und positioniert den Verband als klaren Themenführer: «Mit dem Masterplan zeigen wir den Weg auf, wie ein fossilfreier Verkehr fristgerecht möglich ist und umgesetzt werden kann.»
Dabei stünden zwei Stossrichtungen im Vordergrund: «Erstens zielt der Masterplan auf die Verkehrsnachfrage, welche sich mit klug eingesetzten Instrumenten durchaus beeinflussen und steuern lässt, und zweitens müssen technologische Verbesserungen erreicht werden.» Das Gelingen hänge überdies stark von der Bereitschaft und vom guten Zusammenspiel aller staatspolitischen Ebenen ab: Der Bund steht ebenso in der Pflicht wie die Kantone und die Gemeinden.
Andreas Käsermann
© infrasVier Fragen an …
… Daniel Sutter, Studienautor und Geschäftsleiter Infras
Daniel Sutter, Sie arbeiteten als Co-Autor der Studie «fossilfreie Mobilität» und zeichnen ein recht genaues Bild der Verkehrszukunft. Wie lässt sich eine solche Prognose erstellen und wie exakt kann sie sein?
Vorab ist wichtig zu betonen, dass wir keine Prognose erstellt haben, sondern Szenarien – im Sinne von «Wenn-dann-Aussagen». Wir zeigen auf, wie die Verkehrszukunft aussehen könnte, wenn entsprechende Massnahmen ergriffe werden. Dabei stützen wir uns auch auf Erkenntnisse aus den Wirkungen anderer, schon umgesetzter Massnahmen sowie auf die Potenziale einzelner Massnahmen. Hierbei spielen die Grösse der potenziellen Zielgruppen sowie die Zeitachse eine wichtige Rolle.
Was war für Sie die überraschendste Erkenntnis aus der Studie?
Zwei Dinge waren für mich besonders eindrücklich: Erstens lässt sich das Ziel eines fossilfreien Verkehrs bis 2050 mit bekannten und bei Fachleuten breit akzeptierten Massnahmen gut erreichen, wenn schnell und umfassend gehandelt wird. Es braucht dazu kein Notrecht. Zweitens wird aber auch sehr deutlich, dass technische Massnahmen – vor allem die Elektrifizierung – zwar eine zwingende Voraussetzung sind, aber alleine nicht ausreichen. Um 2050 einen fossilfreien Verkehr ökonomisch effizient zu erreichen, sind auch Massnahmen zur Beeinflussung der Verkehrsnachfrage notwendig. Andernfalls werden der Bedarf an teuren, synthetischen Treibstoffen sowie erneuerbarem Strom für den Verkehr enorm hoch.
In welchem Bereich erwarten Sie die grössten Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Massnahmen?
Die Erfahrung zeigt, dass die Akzeptanz preislicher Massnahmen im Bereich des motorisierten Personenverkehrs in der Vergangenheit teilweise kritisch war. Dennoch ist eine Verteuerung des fossilen Individualverkehrs eine zentrale Massnahme zur Zielerreichung. Damit wird einerseits beim Autokauf ein Signal gesetzt, das zu einer Verlagerung hin zu alternativen Antrieben führt. Andererseits wird auch eine Verringerung der gefahrenen Kilometer mit den verbleibenden Verbrennerfahrzeugen erreicht.
Wie schätzen Sie den politischen Willen und die Bereitschaft ein, sich auf die Massnahmen einzulassen?
Wenn die Instrumente zur Umsetzung klar ausgestaltet sind, dürften auch politische Mehrheiten möglich sind. Dazu gehört beispielsweise, dass eine CO2-Lenkungsabgabe vollständig zurückerstattet wird, was ökonomisch effizient und sozialpolitisch günstig ist. Generell ist wichtig zu betonen, dass die genannten Massnahmen insgesamt positive soziale Verteilungswirkungen haben: Am meisten betroffen sind nämlich immer Haushalte mit hohem Einkommen, weil diese im Mittel mehr PW-Kilometer mit verbrauchsstärkeren Fahrzeugen zurücklegen. Hier haben Fachleute und Politik gegenüber der Öffentlichkeit noch viel Informationsarbeit zu leisten.