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Ein Fass ohne Boden

Ganze 5,3 Mil­liar­den Franken soll der Auto­bahn-Aus­bau kosten. Doch ist mehr als fraglich, ob es dabei bleibt. Wenn der Bund näm­lich ein gross­es Pro­jekt in die Hand nimmt, fällt die Rech­nung am Schluss meist höher aus. Oft sog­ar viel höher.

aus VCS-Mag­a­zin 4/2024

VCS Schweiz

Man sollte meinen, dass die Exper­tise im Umgang mit Zahlen in der Bun­desver­wal­tung gut vorhan­den sein sollte. Aber dieser Ein­druck täuscht zuweilen. Ger­ade diesen Som­mer wurde ein Tohuwabo­hu bei der AHV pub­lik, welch­es das zuständi­ge Bun­de­samt für Sozialver­sicherun­gen in wüsten Ver­ruf brachte. Es stünde gar nicht so schlimm wie ver­mutet um die Altersvor­sorge – man habe sich um sat­te vier Mil­liar­den ver­rech­net.

Doch auch dieser Wert stimmte offen­bar nicht und das Bun­de­samt hat ein paar Wochen später erneut neue Zahlen geliefert – dies­mal gut zwei Mil­liar­den, um die man sich ver­tan habe. Das Resul­tat war das Mis­strauen der Öffentlichkeit und am Ende eine schal­lende Ohrfeige an der Urne: Die Stim­menden sagten Nein zur Reform der zweit­en Säule.

Auch in anderen Bere­ichen hat die Bun­desver­wal­tung heuer kein glück­lich­es Händ­chen im Umgang mit Zahlen bewiesen. Das Bun­de­samt für Strassen ASTRA – seines Zeichens zuständig für die Nation­al­strassen – hat näm­lich aus­gerech­net, was die Staus auf den Auto­bah­nen kosten. Das ASTRA fol­gerte daraus, dass der volk­swirtschaftliche Nutzen eines Auto­bahn-Aus­baus bei 184 Mil­lio­nen Franken jährlich liege.

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Bundesamt im Kampagnen-Modus

Doch die NZZ am Son­ntag deck­te im Som­mer auf, dass auch diese Zahlen einen Hak­en haben. Sie sind erstens unge­nau und zweit­ens ver­al­tet. Dessen ist man sich beim ASTRA wohl bewusst. Aber die neuen Berech­nungs­grund­la­gen seien von der Branche halt noch nicht anerkan­nt und darum noch nicht zu ver­wen­den. Inter­es­sant dabei: Auch nach neuer Rechenart resul­tiert ein volk­swirtschaftlich­er Nutzen aus bre­it­eren Auto­bah­nen. Bloss ist der mit 65 Mil­lio­nen – statt deren 184 – ein gutes Stück weniger spek­takulär.

Entsprechend war in der Bun­desrats­botschaft ans Par­la­ment nur vom höheren Betrag die Rede. Die neueren, genaueren Zahlen waren den Zuständi­gen nicht ein­mal eine Fuss­note wert. Der neue Ansatz gelte erst in eini­gen Monat­en; also nach der Abstim­mung über den Auto­bahn-Aus­bau, mut­masst das Bun­de­samt. Das ist ein bemerkenswert­er Zufall; beson­ders in Anbe­tra­cht dessen, dass die Abstim­mungs­frage am 24. Novem­ber das Kerngeschäft des ASTRA bet­rifft.

Voranschlag mehr als fragwürdig

Doch den Kam­pag­nen­strate­gin­nen und ‑strate­gen kom­men nicht nur grosszügige Zahlen über den Nutzen eines Pro­jek­ts zu Hil­fe. Auch wenn die abse­hbaren Kosten möglichst ger­ing sind, verbessert dies die Aus­sicht auf einen Abstim­mungser­folg.

Zwar sind 5,3 Mil­liar­den Kosten für gut 30 km neue Auto­bahn­spuren und eine Hand­voll Tun­nel nicht ger­ade ein Schnäp­pchen; aber den­noch ver­mut­lich der Min­i­mal­be­trag. Die Erfahrung zeigt näm­lich, dass in den Kam­pag­nen – wohl um das Abstim­mungsre­sul­tat nicht zu gefährden – fast durch­wegs mit ein­er Zahl an der unter­sten Gren­ze der Preiss­panne hantiert wird. Wenn man sich dann im Ver­lauf des Pro­jek­ts der wirk­lichen Kosten gewahr wird, ist es für einen Abbruch meist zu spät. Zäh­neknirschend wird dann neues Geld bere­it­gestellt.

Dafür gibt es zahlre­iche Beispiele. Drei promi­nente Exem­pel:

  • Neue Alpen-Trans­ver­sale NEAT: Bei der Volksab­stim­mung von 1998 ver­an­schlagte der Bun­desrat die Kosten noch auf 13,6 Mil­liar­den Franken. Let­ztlich betru­gen die Kosten rund 22,8 Mil­liar­den Franken. Über­schre­itung: 68 Prozent.
  • Beschaf­fung F/A 18: Im Jahr 1993 wur­den die Kosten für die Beschaf­fung von 34 F/A‑18-Kampf­flugzeu­gen im Abstim­mungs­büch­lein auf etwa 3,5 Mil­liar­den Franken geschätzt. Die endgülti­gen Kosten stiegen auf rund fünf Mil­liar­den Franken. Plus 43 Prozent.
  • Belchen­tun­nel: Der dritte Strassen­tun­nel durch den Belchen sollte ursprünglich 270 Mil­lio­nen Franken kosten. Das Geld reichte bei weit­em nicht: der Tun­nel kostete let­ztlich rund 500 Mil­lio­nen Franken – 85 Prozent mehr als ver­an­schlagt.

Wenn der Bund ein gross­es Pro­jekt in die Hand nimmt, wer­den die Kosten so gut wie immer über­schrit­ten. Mitunter erhe­blich. Doch ist das Phänomen nicht nur in der Schweiz bekan­nt. Im Rah­men ein­er Studie der Her­tie School of Gov­er­nance wur­den 170 öffentliche Grosspro­jek­te in Deutsch­land unter­sucht. Die Diskrepanz zwis­chen Plan- und Mehrkosten lag bei durch­schnit­tlich 73 Prozent. Reko­rd­hal­ter war dabei das Atom­kraftwerk in Kalkar. Es wurde 1985 fer­tiggestellt, kostete 494 Prozent mehr als ver­an­schlagt, ging aber nie in Betrieb. Eine ver­i­ta­ble Investi­tion­sru­ine.

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Preisbarometer zeigt nach oben

Mar­tin Winder, VCS-Bere­ich­sleit­er Poli­tik und Kam­pag­nen, rech­net auch beim Auto­bahn-Aus­bau mit Kostenüber­schre­itun­gen: «Das Preiss­child von 5,3 Mil­liar­den dürfte zu knapp bemessen sein. Ein­er­seits lehrt uns dies die Erfahrung – ander­er­seits dürften ins­beson­dere die vier Tun­nel­pro­jek­te in der Bauphase noch mit Über­raschun­gen und Mehrkosten aufwarten.»

Wenn der Bund ein gross­es Pro­jekt in die Hand nimmt, wer­den die Kosten so gut wie immer über­schrit­ten. Mitunter erhe­blich.

Der ver­an­schlagte Betrag beruhe auf einem Best-Case-Szenario und berück­sichtige das Preis­ge­füge der frühen 2020er-Jahre, sagt Winder weit­er. Die Baukosten im Strassen­bau hät­ten aber in der Ver­gan­gen­heit zugenom­men. Das liesse sich auf eine Rei­he von Fak­toren zurück­führen: «Ein wichtiger Kos­ten­treiber ist die Infla­tion. Höhere Preise für Dien­stleis­tun­gen und Energie tra­gen auch zu höheren Baukosten bei.» Fern­er seien die Preise für Bau­ma­te­ri­alien wie Asphalt, Beton, Stahl und andere notwendi­ge Rohstoffe in den let­zten Jahren weltweit gestiegen: «Namentlich, weil diese Rohstoffe knapp sind, wegen höher­er Trans­portkosten und der gestiege­nen Nach­frage nach diesen Mate­ri­alien in anderen Sek­toren.»

Blackbox Unterhalt

Auto­bah­nen kosten allerd­ings nicht bloss während der Erstel­lung viel Geld. Ein­mal gebaut, wollen sie gepflegt wer­den. Das ASTRA schrieb in seinem let­zten Net­z­zu­s­tands­bericht, im All­ge­meinen sei das Netz in einem zufrieden­stel­len­den bis guten Zus­tand, auch wenn der Ziel­w­ert nicht ganz erre­icht werde. Und: es gibt dur­chaus Makel. «Einige Betriebs- und Sicher­heit­saus­rüs­tun­gen sind in einem alarmieren­den Zus­tand.» Man habe Mass­nah­men ein­geleit­et, um die Män­gel zu beheben: «2022 investierte das ASTRA 1,06 Mil­liar­den Franken in den Unter­halt und damit in den Erhalt des Nation­al­strassen­net­zes.» Mit Blick auf die näch­sten Jahre rech­net man beim Bund mit ähn­lichen, aber leicht steigen­den Unter­halt­skosten.

Aus Sicht von Winder ist der Unter­halt zwar wichtig für die Sicher­heit, aber alles andere als bil­lig: «Gemessen an den 2250 km Länge des Nation­al­strassen­net­zes, kostet jed­er Kilo­me­ter Auto­bahn jährlich sat­te 532 000 Franken Unter­halt.» Ausser­dem sei der Bud­get­posten in den let­zten Jahren gewach­sen und würde auch ob mehr Fahrspuren kün­ftig eher zu- als abnehmen, prog­nos­tiziert Winder. «Selb­stver­ständlich wollen wir die beste­hen­den Auto­bah­nen nicht vergam­meln lassen. Aber durch einen Aus­bau weit­er ver­teuern soll­ten wir sie auch nicht. Das sind wir unseren Kindern schuldig.»

Andreas Käser­mann