Do in Rome as Romans do
Es geht ruhig zu und her an diesem winterlichen Dienstagmorgen im Reisebüro an der Ecke Gesellschaftsstrasse-Neufeldstrasse. Das Telefon bleibt stumm – die neuen Mails im Posteingang versprechen keinen Rekordumsatz. «KaravanSerail» prangt am grosszügigen Schaufenster. Und Bilder jener Destinationen, die Inhaber Heinz Gröli aus dem Effeff kennt und anbietet: Reisen in den Orient. Auf dem Trottoir steht Grölis Vespa.
«Do In Rome as Romans do» — Verhalte Dich in einem fremden Land so wie die Einheimischen. Wer bei KaravanSerail bucht, kann diesen Ratschlag in allen Reiseunterlagen nachlesen. Das Credo ist zugleich das Lebens- und Reisemotto des Geschäftsinhabers Heinz Gröli.
Vision und Realität
Der begeisterte Globetrotter hat Anfang der Nullerjahre den Sprung in den Tourismus gewagt; seine Passion zum Beruf gemacht. «Am Anfang stand die Idee, zusammen mit meinem damaligen Geschäftspartner in Marokko einen Zug zu kaufen und diesen zum rollenden Hotel umzubauen.» Die Vision scheiterte jedoch an der Realität: der Umbau der Bahnwaggons wäre viel zu teuer gewesen – der Betrieb kaum je rentabel. Dennoch war der berufliche Wechsel in die Tourismusbranche für den früheren Werber und Verlagsfachmann Heinz Gröli beschlossene Sache.
In Marokko baute der Branchenneuling zusammen mit einem Marokko-Kenner aus der Schweiz ein Hotel. Und zu Hause eröffnete er ein Reisebüro als Anlaufstelle für die Kundschaft. Offeriert werden Individualreisen ins marokkanische Hinterland, fernab der Hotelburgen an der Atlantikküste. Eine Marktnische: «Die Riesen der Branche arbeiten mit grossen Hotels und Kontingenten und alles dreht sich am Schluss um den Preis. Da kann ein kleines Unternehmen nicht mithalten.» Wenn es aber um massgeschneiderte Rundreisen gehe, um Übernachtungen im Mikrohotel oder in Camps am Rande eines Wadi [arabisch für ausgetrockneter Flusslauf] könne er mit Beratung in der Schweiz und mit vielfach langjährigen Beziehungen im Zielland punkten, sagt Gröli. So hätten alle ihren Platz im Markt.
Von einem «schönen Dossier» spricht Heinz Gröli, wenn er eine Reise verkauft hat – mit einem anerkennenden Unterton und nicht ganz ohne Lust freilich, selber hin zu fahren. «Ich verkaufe nur Destinationen, die ich selber schon bereist habe.» Das sei wichtig. Gerade im Orient könne man nicht ausschliesslich aus der Ferne operieren. «Der persönliche Kontakt und das gemeinsame Teetrinken ist wichtig. Bloss per Mail oder Telefon zu agieren wäre nicht mein Ding und es würde kaum gut gehen. Wenn die Menschen vor Ort jedoch ein Gesicht kennen und Vertrauen aufbauen können, ist fast alles möglich.» Es komme schon mal vor, dass ein Fahrer seine Gäste spontan mit zu sich nach Hause nimmt und sich Schweizer Touristen plötzlich in der arabischen Grossfamilie beim fulminanten Nachtessen wiederfinden.
Das Geschäft mit den Orientreisen lief lange gut; das Angebot wuchs: Neben Marokko bot KaravanSerail bald auch Reisen nach Ägypten, Libyen, Jordanien und – als Perle des Portfolios – nach Syrien an. Hauptsächlich Rundreisen, die individuell und nach Kundenwunsch zusammengestellt wurden.
Arabischer Frühling
Dann kam der arabische Frühling. Zunächst rebellierte Ende 2010 das Volk in Tunesien erfolgreich gegen seinen Regenten Zine el-Abidine Ben Ali. Die Aussicht auf Demokratie statt Diktat schien verheissungsvoll und die Welle schwappte innert weniger Wochen über auf andere nordafrikanische Länder und auf jene im Nahen Osten. Ägypten entledigte sich Mubaraks, in Libyen wurde Gaddafi gestürzt und in Syrien sollte es Präsident Baschar al-Assad an den Kragen gehen.
Mit Zuversicht und aus Affinität verfolgte auch Heinz Gröli die Entwicklung dieser Aufstände. «Es schien, dass ein Ruck durch diese Weltregion geht. Dass das System der Unterdrückung durch Diktatoren ein Ende hat und dass Reformen möglich sind», erinnert er sich. Nicht nur – aber auch – beflügelt vom zumindest anfangs nur positiv verstandenen arabischen Frühling hat Heinz Gröli sein Geschäft ausgebaut und sein Reisebüro von der Agglomeration in die Stadt verlegt, wo er 2012 an der Gesellschaftsstrasse einzog – nunmehr einen Steinwurf von zu Hause weg. «Vielleicht sind wir Länggässler so, dass wir zunächst einmal an das Positive glauben. Die Geschichte hat uns freilich anderes gelehrt. Was insbesondere in Syrien läuft, ist erschütternd.»
Dabei denkt der Landeskenner nicht ausschliesslich an die abertausenden Flüchtlinge und Vertriebenen; er denkt auch an die immensen Kulturgüter, die in einem derart langen Konflikt unwiederbringlich und nicht selten – von welcher Kriegspartei auch immer – mutwillig zerstört werden. «Für das Land ist dies dramatisch – auch wenn dereinst wieder Frieden herrscht.»
Mit Wehmut denkt Gröli an seine Reisen nach Syrien. Viele seiner Partner und Freunde vor Ort – vorwiegend aus Damaskus – haben das Land Richtung Jordanien verlassen. «Von anderen habe ich aber schon lange Zeit nichts mehr gehört. Ich weiss nicht einmal, ob sie noch leben.» Es herauszufinden, ist in der jetzigen Situation gleichermassen unmöglich wie beängstigend.
Aufgeben gilt nicht
Was tut jemand, dessen wirtschaftliches Hauptstandbein Syrien war? Heinz Gröli runzelt die Stirn. Der Umsatz sei sehr rasch auf einen Drittel geschrumpft. Aufgeben gilt jedoch nicht: Er versuche, sich auf andere Reiseländer zu konzentrieren. Jordanien etwa, sei vom Krieg im Nachbarland nicht betroffen. «Das Land ist zwar recht klein, es bietet aber eine grosse Vielfalt: imposante und einmalige Kulturgüter – wie die Felsenstadt Petra – dann das Tote Meer und gar Baden und Tauchen in der Bucht von Akaba ist möglich.» Ausserdem sei der als grosszügig bekannte jordanische König bei der Bevölkerung sehr beliebt; das Land politisch entsprechend ruhig. Eine weitere Destination, die er auszubauen versuche, sei der Oman und die Länder entlang der Seidenstrasse, sagt Gröli. Auch der Iran kommt neu ins Portfolio: «Dort werde ich das Kontaktnetz zu den Leuten vor Ort noch weiter ausbauen.»
Der Dienstagmorgen im ruhigen Reisebüro neigt sich dem Ende zu. Heinz Gröli macht heute etwas früher dicht. Dies muss er, denn am Nachmittag betreut er seinen neun Monate alten Sohn. Ein Lichtblick, an diesem Wintertag, in der sicheren Schweiz, zu Zeiten des Bürgerkriegs in Syrien.
Andreas Käsermann