
Die sda – vom Ruhe- zum Unruhepol
In der Länggasse ist seit Jahrzehnten — von Passanten kaum wahrgenommen — eine der wichtigsten Institutionen des Schweizer Mediengeschäfts zu Hause: an der Länggassstrasse 7, in einem schmucklosen Betonbau aus den 80er-Jahren, liegt der Hauptsitz der Schweizerischen Depeschenagentur sda. Seit einigen Wochen flattern am Bürokomplex Transparente. Es ist offensichtlich: Bei der sda ist Feuer im Dach.
aus Länggassblatt 250
Länggassblatt
sda-Journalistinnen und ‑Journalisten sind mehrheitlich aus besonderem Holz geschnitzt. Sie treten so gut wie nie mit ihrem eigenen Namen auf, wie dies sonst unter den eher sendungsbewussten Journalisten üblich ist. Die rund 150 Schreibenden der Depeschenagentur dagegen werden in der Öffentlichkeit pauschal mit dem nüchternen Kürzel «sda» als Autorinnen und Autoren vermerkt und damit gleichsam anonymisiert.

Platz für Eitelkeiten gibt es nicht. Und schon gar keinen für Wertungen oder Kommentare. Damit dies so bleibt, gibt es eingespielte und ganz selbstverständliche Kontrollmechanismen: Der Anspruch und das Gebot der Neutralität ist auf der Redaktion förmlich spürbar. Haut ein Journalist doch einmal zu einseitig in die Tasten, wird die Meldung vor deren Verbreitung vom verantwortlichen Nachrichten-Desk so zurechtgestutzt, dass sie dem Credo der Objektivität – dem höchsten Gut der Nachrichtenagentur — genügt.
Wertfrei – aber nicht wertlos
Auf die ständig sprudelnde Quelle verlassen sich die Kunden der sda. Auf einen Grundstock an Meldungen, die wasserdicht und neutral sind und tel quel übernommen werden können. Wenn ein Blatt bei einem Sujet nachpfeffern will, geschieht das in der Kommentarspalte oder gleich in einem eigenen Text. Die Agentur ist damit Rohstofflieferantin ebenso für linksgesteuerte Arbeiterzeitungen als auch für konservative Blätter wie die Weltwoche.
«Sie hören die Nachrichten der Schweizerischen Depeschenagentur»
Lange Zeit haben die SRG-Radioprogramme für ihre Nachrichtensendungen zur Depeschenagentur geschaltet. Dort stand ein Sprecher bereit, der die neuesten Meldungen verlas. Erst 1971 hat Radio DRS die Gestaltung der eigenen Informationssendungen selber übernommen.
Die sda-Nachrichten werden strikt nach dem 4‑Augen-Prinzip verbreitet. Jede zitierte Aussage wird verifiziert: Bevor es ein Primeur in die Newskanäle der sda schafft, muss dessen Inhalt hieb- und stichfest bestätigt werden. Ganz nach der Agenturregel: «Be first, but first be right.» Sinngemäss: Sei der erste; aber erst mal: sei korrekt.
Die Mitarbeitenden der sda unterscheiden sich häufig noch in einem weiteren Punkt von ihren Berufskollegen: Sie sind ihrem Arbeitgeber gegenüber ausgesprochen treu und loyal. Nicht wenige der angestellten Journalistinnen und Journalisten arbeiten jahre‑, teilweise gar jahrzehntelang für die Agentur. Manche begannen in jungen Jahren als Einsteiger in den Journalismus und blieben bis zur Pension. Das ist durchaus ungewöhnlich: Anderswo ziehen Journalisten nicht selten Bienen gleich, von einer Blüte zur nächsten.
Eine dieser langjährigen sda-Mitarbeiterinnen war Ursula Santschi. Über vierzig Jahre lang war die Länggässlerin für die Agentur im Einsatz, bis sie vor wenigen Jahren in Rente ging. «Ich habe Anfang siebziger Jahre als Stagiaire begonnen. Seinerzeit war der Hauptsitz der sda noch beim Bahnhof, wo heute die Welle 7 steht.» Das Geschäft mit den Nachrichten sei damals noch ein ganz anderes gewesen als am Ende ihrer Laufbahn, insbesondere auch quantitativ: «Unsere Meldungen haben wir auf der Schreibmaschine getippt. Mit Kohlepapierdurchschlägen. Mit der Aussenstelle im Bundeshaus erfolgte der Meldungsfluss per Rohrpost.»
Kriegsjahre
Während des zweiten Weltkriegs hat der Bundesrat bei der sda interveniert, man solle mehr Nachrichten deutschen Ursprungs verwenden und die damaligen Agenturen Havas (Paris) und Reuters (London) zurückfahren. Dies mit der Begründung, man wolle die Achsenmächte nicht verärgern. Auch die Zensur nahm in den Jahren des zweiten Weltkriegs zu. Die neu geschaffene Abteilung Presse & Funkspruch APF des Armeestabs kontrollierte die Einhaltung – mitunter mit sda-Redaktoren, die in Uniform am Redaktionspult sassen.
Nach dem Verfassen gelangten die Nachrichten per Förderband zum Korrektorat und wurden zudem stichprobenartig von einem diensthabenden Chef kontrolliert. Je nach Bedeutung einer Meldung wurde sie ins Französische oder Italienische übersetzt.
«Erst dann haben Telegrafisten die sda-Artikel in den Telex getippt. Das ist heute kaum mehr vorstellbar.» Zur Kundschaft der sda gehörten damals neben den Zeitungsredaktionen als einzige elektronische Medien die Radio- und Fernseh-Kanäle der SRG. Der Zeitdruck war deshalb viel geringer als heute. Die Privatradios kamen erst 1983 hinzu; Internet-Newsportale und private Fernsehstationen entstanden gar erst in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre. Der Bedarf an Nachrichten nahm ständig zu und auch die Kadenz wurde erhöht.
Die sda gehört ihren Kunden
Der sda liegt seit jeher ein besonderes Geschäftsmodell zugrunde: Die Verleger sind nicht nur Kunden, sondern auch Teilhaber der Agentur. Als die Depeschenagentur 1894 gegründet wurde, ergab das Konstrukt der Personalunion aus Kundschaft und Teilhabern nämlich viel Sinn: Die Schweizer Zeitungen waren zuvor – selbst für Inlandmeldungen — von ausländischen Agenturen abhängig gewesen. Die Initiative für eine zweisprachige, nationale Agentur kam damals von den Verlagen der Zeitungen «NZZ», «Der Bund» und «Journal de Genève». 1895 nahm die Depeschenagentur den Betrieb mit zehn Redaktoren auf, und bereits nach kurzer Zeit belieferten diese landauf, landab die Redaktionen.
Bis ins aktuelle Jahr ist die sda auf nunmehr 150 Journalistinnen und Journalisten angewachsen – und auch das Angebot legte kräftig zu. Die Redaktion verbreitet heute über 200‘000 Meldungen pro Jahr aus allen Sparten. Nicht wenige Medien bestreiten einen massgeblichen Anteil ihrer Inhalte mit sda-Content. Gemäss einer Studie des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft Fög der Universität Zürich bezieht das Pendlermagazin «20 Minuten» mehr als die Hälfte aller Meldungen von der sda. Mehr als ein Drittel der Texte übernehmen die «Basler Zeitung», die «Berner Zeitung», die «Südostschweiz» und die «Luzerner Zeitung». Noch höher ist der Anteil auf den Onlineplattformen: Rund 60 Prozent des Inhalts auf luzernerzeitung.ch kommt von der sda – mehr als die Hälfte des Contents auf tagblatt.ch und auf lematin.ch stammen aus der Länggasse.
In der Folge hat sich der Medienmarkt grundlegend verändert: Die Zeitungsverleger boten plötzlich Radio- und Fernsehprogramme an, bauten Internetportale auf, hatten eine Pendlerzeitung im Portfolio. Es herrschte eine Goldgräberstimmung: Die Inseratemärkte florierten, und der Blick auf die Kosten (und damit auf die Quartalsrechnungen der Nachrichtenagentur) war weniger wichtig, weil die Erträge noch eher stimmten. Und selbst wenn gespart werden musste, traf es nicht in erster Linie die sda, weil die Verleger zahlreiche Optionen hatten: Eine Gratis-Zeitung lässt sich mehr oder weniger von einem Tag auf den anderen wieder einstellen (metropol, .ch, news), ein TV-Sender (Tele 24, TV3) schliessen, eine Internetplattform mit anderen Angeboten fusionieren (espace.ch, swisscontent).
Ursula Santschi hat die Veränderungen der letzten Jahrzehnte alle miterlebt. Lust auf einen Wechsel hat sie dabei keinen verspürt: «Ich habe als Journalistin nicht die grosse Bühne gesucht. Mir ging es stets um die Information, um die objektive Berichterstattung und nicht zuletzt um die Freude am Schreiben.» Hierfür sei die sda geradezu ideal. Es sei nie ihr erklärtes Ziel gewesen, 40 Jahre bei der Agentur zu bleiben; es habe aber auch nie einen Anlass gegeben, die Stelle zu wechseln. «Überdies hat sich die Agentur in der Vergangenheit stets sehr um ihre Belegschaft gekümmert.» Hatte sie oder jemand anderes aus dem Team eine schwierige Zeit zu meistern, dann habe der Chef ein offenes Ohr gehabt und das Unternehmen an einer Lösung mitgearbeitet. «Man hat zu uns geschaut. Das erklärt meine Loyalität zu diesem Unternehmen. Und wohl auch die Treue von so manchem Mitarbeiter.»
Umso schmerzhafter seien nun die neusten Entwicklungen, wo gleich mehrere über 60-jährige, langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen werden. «Plötzlich werden diese Leute auf die Strasse gestellt. Sie müssen sich bei einem RAV melden und vielfach Renteneinbussen in Kauf nehmen. Das Vorgehen des Verwaltungsrats ist unanständig.» Hätte es auch sie getroffen, wäre sie nicht bereits pensioniert? «Ganz sicher», ist Ursula Santschi überzeugt.

Das Sparprogramm
Der aktuelle Personalabbau bei der sda ist der einschneidendste in der Unternehmensgeschichte. Nicht nur die über 60-Jährigen sind betroffen. Viele, darunter etliche mit schulpflichtigen Kindern, müssen Pensenreduktionen und entsprechende Lohneinbussen hinnehmen. Gewiss: Es kam auch in der Vergangenheit bereits zu Restrukturierungen. Bisher konnte ein Abbau jedoch meist ohne Kündigungen aufgefangen werden. Gespart wurde zum Beispiel auch durch die Auslagerung der kostspieligen Nachtdienste nach Australien. Dank der Zeitverschiebung konnte der Nachteinsatz in der Länggasse durch einen Tagesdienst «Down Under» ersetzt werden. Denn eigentlich spielt es keine Rolle, ob eine Verlautbarung aus dem Weissen Haus in Bern oder in Sidney redigiert wird. Zur Besetzung des fernen Aussenpostens liessen sich gar intern Leute finden, denen der Einsatz in Australien gelegen kam.
Neue Ausgangslage
Doch diesmal liegt die Sache anders: Einige Verleger setzten dem Vernehmen nach die sda-Spitze in den letzten Jahren dermassen unter Druck, dass der ganzen Kundschaft eine Beruhigungspille in Form eines pauschalen Rabatts gewährt wurde. Einige Grossverlage – welche selber mit dem seit Jahren rückläufigen Inserategeschäft zu kämpfen haben – drohten der Agentur mit der Schaffung einer kleineren, wendigen und billigen Konkurrenz-Agentur. Wenn die sda nicht spure, werde man dieses Projekt vorantreiben.
Die Geschäftsleitung der sda hatte das Messer am Hals, lenkte letztlich ein und senkte die Preise. Die Folge: die sda schreibt damit rote Zahlen in Millionenhöhe, wie man in den letzten Monaten lesen konnte. Um die durch den Discount entstandenen Mindereinnahmen aufzufangen, sollen nun 36 der 150 Redaktionsstellen eingespart werden.

Dieser Umstand – kombiniert mit der alles andere als glücklichen Kommunikation der Unternehmensleitung – treibt die ansonsten zurückhaltenden und diskreten Redaktorinnen und Redaktoren der sda auf die Strasse. Geeint haben sie im Februar die Arbeit für vier Tage niedergelegt. An die News-Desks zurückgekehrt sei man aus Rücksicht auf die Kundschaft: Ihren Berufskollegen wollte das Team die «Sendepause» nicht mehr länger zumuten. Bedingung war jedoch, dass die sda-Geschäftsleitung mit den Redaktorinnen und Redaktoren an den Tisch sitzt und nach besseren Lösungen sucht.
Monopolagentur
Die sda ist seit 2010 die einzige Nachrichtenagentur in der Schweiz. Zuvor hatten sich bis zu vier Mitbewerber den Markt geteilt. Im Laufe der Zeit mussten einige jedoch aufgeben oder zogen sich aus dem Schweizer Markt zurück. Lange Jahre hiess der Hauptkonkurrent Schweizerische Politische Korrespondenz (SPK), die sich auf Wirtschaftsnachrichten spezialisierte. Als jedoch der Vorort (heute economiesuisse) der Agentur 1993 den Geldhahn zudrehte, musste die SPK schliessen.
Nur von kurzer Dauer war hingegen das Schweizer Engagement der amerikanischen UPI, welche sich 1972 nach neun Jahren zurückzog. Später – von 1981 bis 2009 — existierte der letzte sda-Konkurrent Associated Press Schweiz, der letztlich im Rahmen einer Fusion – an welcher die sda beteiligt war – den Betrieb einstellte.
Wie weit dies gelingt? Ursula Santschi hat je länger desto mehr Zweifel. «Weniger Personal heisst auch: weniger Output und Qualitätsabstriche. Besonders schwierig würde das für die kleineren Redaktionen, welchen die sda eine wichtige Grundversorgung bietet. Überdies wird der Abbau wohl hauptsächlich zu Lasten der Dienste für die französische und italienische Schweiz gehen.»
Nach Ruhe sieht es derweil bei der sda nicht aus. Im vorwiegend von sda-Mitarbeitenden gefütterten Twitter-Kanal @inside_sda wird inzwischen berichtet, es sei wegen der ständig veränderten Arbeitspensen schier unmöglich, die Dienstschichten noch vernünftig zu planen. Zudem wachse angesichts der Unsicherheiten die Zahl jener, welche den Dienst bei der Agentur freiwillig quittierten.
Ein Hoffnungsschimmer: Die jüngsten Entwicklungen sind in der Politik angekommen, und im Bundeshaus sind mehrere Vorstösse hängig, welche den Bundesrat auffordern, bei der sda einzugreifen, denn die Garantie der medialen Grundversorgung sei in Gefahr. Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco hat eine Schlichtungsstelle in der Causa sda eingerichtet. Nach der No-Billag-Initiative ist damit bereits die nächste medienpolitische Debatte gesetzt.
Andreas Käsermann