Die Schweiz ist bei der Lärmbekämpfung im Verzug

5. April 2018 | casanos­tra

Verkehrsstau© Paul-Georg Meister/pixelio.de

Seit 31. März soll­ten die Kan­tons- und Gemein­de­strassen in der Schweiz lärm­saniert sein. Allerd­ings: die Frist ist an vie­len Orten ungenutzt ver­strichen. Jet­zt dro­ht der öffentlichen Hand eine Welle von teuren Kla­gen.

aus casanos­tra 145

© Casafair Schweiz

Die Schweiz­er Bevölkerung ist vor Lärm zu schützen. Das ste­ht im Bun­des­ge­setz. Bloss ist es mit der Umset­zung hin­sichtlich Strassen­lärm nicht weit her: Die Kan­tone und Gemein­den hat­ten bis Ende März Zeit zum Nachbessern, sind jedoch bei weit­em nicht à jour: «Es gibt keinen Kan­ton und nur wenige Gemein­den, die ihre Hausauf­gaben voll­ständig gemacht haben», zieht Anwalt Peter Ettler, Präsi­dent der Lärm­li­ga Schweiz, Bilanz. Hun­derte Kilo­me­ter Strasse in der ganzen Schweiz über­schrit­ten die geset­zlichen Gren­zw­erte noch immer, sagt er. «Und dies obwohl die Gemein­den und Kan­tone über dreis­sig Jahre Zeit hat­ten, und obwohl 2002 die Frist auf das jet­zige Datum ver­längert wor­den ist.»

Lärm ist eine dif­fuse Angele­gen­heit. Anders als bei ein­er Unfall- oder Krim­i­nal­sta­tis­tik sind Opfer­zahlen schwieriger zu bes­tim­men. Kommt hinzu: nicht alle ver­ste­hen das­selbe unter Lärm. Dabei ist Lärm ein Krankmach­er und ein ern­sthaftes Gesund­heit­srisiko, wie das zuständi­ge Bun­de­samt für Umwelt Bafu schreibt: «Anhal­tende Lärm­be­las­tun­gen kön­nen Schlaf­störun­gen verur­sachen, die Erhol­ung beein­trächti­gen, zu Kom­mu­nika­tion­sstörun­gen führen oder die Lern- und Leis­tungs­fähigkeit reduzieren.» Ausser­dem verur­sache Lärm viel Kosten: Etwa Gesund­heit­skosten für Medika­mente, Arztbe­suche und Kuraufen­thalte. In Wohnge­bi­eten mit über­mäs­sigem Lärm ver­lören die Liegen­schaften an Wert: «Die Mietein­nah­men bleiben tiefer als ander­swo.» Die Kosten des Lärms trü­gen ausser­dem nicht dessen Verur­sach­er, son­dern die Betrof­fe­nen sowie die All­ge­mein­heit, heisst es beim Bafu.

Vom Strassen­lärm betrof­fen sind gemäss Bund auch heute noch über eine Mil­lion Men­schen. In den Städten und Agglom­er­a­tio­nen etwas häu­figer – aber dur­chaus auch in ländlichen Gebi­eten. Dabei gäbe es dur­chaus Mass­nah­men: kleinere Autos wür­den den Pegel senken, mod­erne Strassen­beläge sind leis­er als herkömm­liche Teer­pis­ten, und auch Tem­pobeschränkun­gen wären wirk­sam. Doch: die Behör­den sprächen den Mass­nah­men häu­fig die Ver­hält­nis­mäs­sigkeit ab, sagt Peter Ettler. «Oft um Tem­pore­duk­tio­nen mit dem faden­scheini­gen Argu­ment zu ver­hin­dern, sie behin­derten den Verkehrs­fluss. Dies obwohl Stu­di­en bele­gen, dass der Verkehr innerorts durch Tem­pore­duk­tion kaum oder gar nicht gebremst, allen­falls gar ver­flüs­sigt wird.»

Lärmliga Schweiz lanciert einen Klagepool

Sind auch Sie betrof­fen?

Wenn Ihre Liegen­schaft an ein­er man­gel­haft oder nicht sanierten Strasse liegt, sind Sie seit 1. April unter gewis­sen Bedin­gun­gen klage­berechtigt. Am von der Lärm­li­ga Schweiz vor­bere­it­eten Klage­pool kön­nen sich alle Betrof­fe­nen beteili­gen. Lärm­li­ga-Mit­glieder leg­en dazu 850 Franken ein, Nicht-Mit­glieder 1000 Franken. Damit der Klage­pool wirtschaftlich selb­st­tra­gend wird, sind gemäss Schätzun­gen der Lärm­li­ga min­destens 300 Klagewil­lige nötig.

Weit­ere Infor­ma­tio­nen unter www.laermliga.ch

Der öffentlichen Hand will Anwalt Ettler nun Beine machen: Vom Strassen­lärm betrof­fene Haus­be­sitzerin­nen und Haus­be­sitzer – aber auch Mieterin­nen und Mieter – kön­nen seit Anfang April eine ver­plem­perte Sanierung ein­kla­gen. Die Lärm­li­ga sieht darin ein Mit­tel, den Druck zu erhöhen: «Wir hof­fen, eine Klagewel­leauszulösen und den Leuten eine Möglichkeit des wirk­samen Protestes gegen den Behör­den­schlaf zu öff­nen.» Indes: nicht alle Eigen­tümerIn­nen sind klage­berechtigt. Der Lär­m­gren­zw­ert muss wirk­lich über­schrit­ten sein, damit eine Klage über­haupt Sinn ergibt.

Auch wird ent­täuscht, wer in ein­er Lärmk­lage ein lukra­tives Geschäft wit­tert. «Pro Mil­lion Mark­twert ein­er Liegen­schaft erwarten wir etwa 2000 bis 3000 Franken pro Jahr.» Also im besten Fall drei Promille des Liegen­schaftswerts. Sei die Sanierung dere­inst abgeschlossen, würde eine gesproch­ene Entschädi­gung wieder weg­fall­en.

Peter Ettler geht es beim angestrebten Klage­pool auch nicht ums Geld. «Es geht vielmehr darum, den Druck auf Kan­tone und Gemein­den so weit zu erhöhen, dass das Prob­lem der Belas­tung durch Strassen­lärm nicht länger ver­schleppt wird.» Für die öffentliche Hand allerd­ings wären die finanziellen Fol­gen ein­er erfol­gre­ichen Klagewelle in der Tat erhe­blich.

Andreas Käser­mann