Die Benzinpreisdebatte der Kleinkrämer
Es ist paradox: 2000 Kilometer östlich schlagen Tag für Tag Raketen in Wohnquartiere ein – legen ein Land in Schutt und Asche. Derweil diskutiert man in halb Europa und in der ganzen Schweiz über Benzinpreise, welche den Autokilometer um ein paar Rappen teurer machen als noch vor Jahresfrist.
Hierzulande ist es insbesondere die SVP, die sich als Schutzheilige des Gewerbes und des Mittelstandes inszeniert; von nötigen Steuersenkungen auf Treibstoff schwurbelt, auf dass die hiesige Wirtschaft nicht untergehe. Wahlkampfluft witternd sieht die Partei die Zeit reif für – hört, hört: Staatseingriffe und Subventionen auf Benzin und Diesel.
Ein irreführender Ansatz, findet Martin Winder, VCS-Projektleiter Verkehrspolitik: «Mit der Fokussierung auf die Treibstoffpreise erscheint das Problem grösser, als es eigentlich ist.» Die Kosten für einen Schweizer Durchschnittswagen betragen rund 10 000 Franken jährlich – beziehungsweise 69 Rappen pro Kilometer. «Bei einer Steigerung der Treibstoffpreise um 48 Rappen erhöht sich der Kilometerpreis um gerade mal drei Zähler auf 72 Rappen.»
Nachfrage trotz gestiegener Preise hoch
Der Aufschlag ist also spürbar, aber nicht eben gewaltig. Und bisher scheint der Strassenverkehr nicht auf die gestiegenen Preise zu reagieren. Laut Avenergy (vormals Erdölvereinigung) ist die Treibstoffnachfrage jedenfalls unvermindert hoch. Während der Lieferverkehr auf kurze Sicht kaum Ausweichmöglichkeiten hat, sieht Martin Winder Sparpotenzial beim minder zwingenden Freizeitverkehr, welcher aber weiterhin den Löwenanteil ausmacht: «Hier würde vermutlich am ehesten ein Rückgang der gefahrenen Kilometer sichtbar. Dass dies nicht der Fall ist, lässt schliessen, dass die höheren Benzinpreise in der Schweiz verkraftet werden.» Dies gründe zweifelsfrei auch im hierzulande üblichen Lohnniveau.
Doch gibt es auch Wenigerverdienende – durchaus auch solche, welche unbedingt auf ein Auto angewiesen sind. Diese Personen dürften nicht durchs Netz fallen, sagt Winder: «Beispielsweise könnte ein bestehender Prämienzuschuss für die Krankenversicherung temporär aufgestockt werden.» Eine Verbilligung der Treibstoffe sei jedoch der falsche Ansatz.
Auch staatspolitisch fragwürdig
Die staatliche Preisregulierung bei den Treibstoffe hat überdies marktverzerrendes Potenzial: Werden die Steuern auf Treibstoffe reduziert, so trägt alleine der Staat die Preissteigerung. Ein allenfalls bremsender Effekt auf die Nachfrage wird von der öffentlichen Hand ausgehebelt, der Absatz bleibt trotz steigender Preise konstant und die Profite der Erdölbranche steigen. Der Trend der Rohölpreise habe den Erdölkonzernen gleichsam über Nacht fette Gewinne beschert, weiss Winder: «Sie sind die grössten Profiteure der hohen Preise und allfälliger Treibstoffsteuersenkungen.»
Doch der VCS-Projektleiter kann der Debatte um Treibstoffpreise auch Positives abgewinnen. Dann nämlich, wenn erkannt wird, dass die höheren Preise auf einer Verknappung gründen: «Die Abhängigkeit von fossilen Treibstoffen und deren negative Folgen sind nun unübersehbar. Die Alternativen zu Benzin und Diesel sind hinlänglich bekannt und bewähren sich. Sie erhalten im Zuge eines veränderten Marktes weiteren Rückenwind. Man muss sich ihrer nur noch bedienen.» Die EU erarbeitet bereits Pläne, um die Abhängigkeit von (russischem) Gas und Öl zu entschärfen. Winder rechnet im Zuge dessen damit, dass der Erdölverbrauch insgesamt in den kommenden Jahren sinken dürfte. Im besten Fall beschleunigt dies die Abkehr von fossilen Energieträgern.
Andreas Käsermann