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Die Benzinpreisdebatte der Kleinkrämer

Es ist para­dox: 2000 Kilo­me­ter östlich schla­gen Tag für Tag Raketen in Wohn­quartiere ein – leg­en ein Land in Schutt und Asche. Der­weil disku­tiert man in halb Europa und in der ganzen Schweiz über Ben­z­in­preise, welche den Autok­ilo­me­ter um ein paar Rap­pen teur­er machen als noch vor Jahres­frist.

aus VCS-Mag­a­zin 3/2022

VCS Schweiz

Hierzu­lande ist es ins­beson­dere die SVP, die sich als Schutzheilige des Gewerbes und des Mit­tel­standes insze­niert; von nöti­gen Steuersenkun­gen auf Treib­stoff schwurbelt, auf dass die hiesige Wirtschaft nicht unterge­he. Wahlkampfluft wit­ternd sieht die Partei die Zeit reif für – hört, hört: Staat­se­in­griffe und Sub­ven­tio­nen auf Ben­zin und Diesel.

Ein irreführen­der Ansatz, find­et Mar­tin Winder, VCS-Pro­jek­tleit­er Verkehrspoli­tik: «Mit der Fokussierung auf die Treib­stoff­preise erscheint das Prob­lem gröss­er, als es eigentlich ist.» Die Kosten für einen Schweiz­er Durch­schnittswa­gen betra­gen rund 10 000 Franken jährlich – beziehungsweise 69 Rap­pen pro Kilo­me­ter. «Bei ein­er Steigerung der Treib­stoff­preise um 48 Rap­pen erhöht sich der Kilo­me­ter­preis um ger­ade mal drei Zäh­ler auf 72 Rap­pen.»

Par­la­ments­di­en­ste

Nachfrage trotz gestiegener Preise hoch

Der Auf­schlag ist also spür­bar, aber nicht eben gewaltig. Und bish­er scheint der Strassen­verkehr nicht auf die gestiege­nen Preise zu reagieren. Laut Aven­er­gy (vor­mals Erdölvere­ini­gung) ist die Treib­stoff­nach­frage jeden­falls unver­min­dert hoch. Während der Liefer­verkehr auf kurze Sicht kaum Auswe­ich­möglichkeit­en hat, sieht Mar­tin Winder Spar­poten­zial beim min­der zwin­gen­den Freizeitverkehr, welch­er aber weit­er­hin den Löwenan­teil aus­macht: «Hier würde ver­mut­lich am ehesten ein Rück­gang der gefahre­nen Kilo­me­ter sicht­bar. Dass dies nicht der Fall ist, lässt schliessen, dass die höheren Ben­z­in­preise in der Schweiz verkraftet wer­den.» Dies gründe zweifels­frei auch im hierzu­lande üblichen Lohn­niveau.

Doch gibt es auch Wenigerver­di­enende – dur­chaus auch solche, welche unbe­d­ingt auf ein Auto angewiesen sind. Diese Per­so­n­en dürften nicht durchs Netz fall­en, sagt Winder: «Beispiel­sweise kön­nte ein beste­hen­der Prämien­zuschuss für die Kranken­ver­sicherung tem­porär aufge­stockt wer­den.» Eine Ver­bil­li­gung der Treib­stoffe sei jedoch der falsche Ansatz.

Auch staatspolitisch fragwürdig

Die staatliche Preis­reg­ulierung bei den Treib­stoffe hat überdies mark­tverz­er­ren­des Poten­zial: Wer­den die Steuern auf Treib­stoffe reduziert, so trägt alleine der Staat die Preis­steigerung. Ein allen­falls brem­sender Effekt auf die Nach­frage wird von der öffentlichen Hand aus­ge­he­belt, der Absatz bleibt trotz steigen­der Preise kon­stant und die Prof­ite der Erdöl­branche steigen. Der Trend der Rohöl­preise habe den Erdölkonz­er­nen gle­ich­sam über Nacht fette Gewinne beschert, weiss Winder: «Sie sind die grössten Prof­i­teure der hohen Preise und allfäl­liger Treib­stoff­s­teuersenkun­gen.»

Doch der VCS-Pro­jek­tleit­er kann der Debat­te um Treib­stoff­preise auch Pos­i­tives abgewin­nen. Dann näm­lich, wenn erkan­nt wird, dass die höheren Preise auf ein­er Verk­nap­pung grün­den: «Die Abhängigkeit von fos­silen Treib­stof­fen und deren neg­a­tive Fol­gen sind nun unüberse­hbar. Die Alter­na­tiv­en zu Ben­zin und Diesel sind hin­länglich bekan­nt und bewähren sich. Sie erhal­ten im Zuge eines verän­derten Mark­tes weit­eren Rück­en­wind. Man muss sich ihrer nur noch bedi­enen.» Die EU erar­beit­et bere­its Pläne, um die Abhängigkeit von (rus­sis­chem) Gas und Öl zu entschär­fen. Winder rech­net im Zuge dessen damit, dass der Erdölver­brauch ins­ge­samt in den kom­menden Jahren sinken dürfte. Im besten Fall beschle­u­nigt dies die Abkehr von fos­silen Energi­eträgern.

Andreas Käser­mann