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Auf neuen Wegen gehen

Dass das alte Rezept mit neuen Strassen zur Bewäl­ti­gung des Verkehrs nicht so richtig funk­tion­iert, ist beileibe kein Geheim­nis. Nichts­destotrotz set­zt der Bund auf noch mehr Strassen. Ein Anachro­nis­mus – immer­hin ein­er mit Alter­na­tiv­en.

aus VCS-Mag­a­zin 1/2023

VCS Schweiz

Erin­nern Sie sich an Mar­ty McFly? Der Gitarre spie­lende, adoleszente Skate­board­er aus der «Back To The Future»-Trilogie, der stets in Jeans und Flanell­hemd schlief? Dieser Mar­ty McFly hat zusam­men mit dem gle­icher­massen wirren wie genialen Tüftler Doc Brown die Ver­gan­gen­heit eben­so bereist wie die Zukun­ft.

Etliche Prophezeiun­gen aus den 80er-Jahre-Fil­men haben sich bis­lang nicht bewahrheit­et. Etwa, dass Autos fliegen kön­nen und der Strassen­verkehr auf stark fre­quen­tierten High­ways hoch im Him­mel von­stat­tenge­ht. In einem Punkt behielt der kultige Sci­ence-Fic­tion-Kla­mauk indes Recht: Es wird eng auf erdge­bun­de­nen Strassen. Dabei hät­ten wir einiges zur Hand, das hülfe.

Da wäre mal das Home­of­fice. Die let­zten drei Jahre mit Coro­na haben uns gelehrt, dass Telear­beit in vie­len Bere­ichen möglich ist – auch dank der fortschre­i­t­en­den Dig­i­tal­isierung. Wür­den als Pan­demie-Lehre alle Arbeit­nehmenden ein­mal wöchentlich zu Hause arbeit­en, fie­len durch­schnit­tlich 20 Prozent der Pen­delfahrten weg. Wenn überdies jene, die zum Arbeit­sort fahren müssen, von den Vorzü­gen flex­i­bler Arbeit­szeit­en prof­i­tieren kön­nen, wür­den die Eng­pässe im Berufsverkehr zusät­zlich entschärft. Die Folge wären min­der voll­gepfropfte Züge und Busse und weniger Autos, welche sich in Staus ein­rei­hen.

Autos besser auslasten

Der Grossteil der Autos ist heute mit ein­er Einzelper­son unter­wegs. An ein­er beispiel­haften Kreuzung mit Ampeln fahren so zur Hauptverkehrszeit während fünf Grün­phasen etwa 80 Per­so­n­en stadtein­wärts. Bei voll­belegten Autos kön­nten es um die 300 sein.

Nun wäre es ja nicht das Ziel, möglichst viele Men­schen stadtein­wärts fahren zu lassen, son­dern nur jene, die dort auch hin müssten. Die Zahl der vor­beifahren­den Autos würde darum bei Voll­bele­gung an der fraglichen Kreuzung um über 70 Prozent sinken. Das ist ein schla­gen­des Argu­ment für Car­pool­ing: das Fahrzeug wird gle­ichzeit­ig von mehreren Per­so­n­en genutzt, welche dieselbe Strecke fahren.

Der Bun­desrat will Rah­menbe­din­gun­gen schaf­fen, welche das Car­pool­ing bevorzu­gen und fördern. Bes­timmte Fahrspuren sollen neu nur noch von Autos mit ein­er Min­destanzahl von Mit­fahren­den genutzt wer­den dür­fen. Aus irgen­deinem unerfind­lichen Grund bedeutet das alleine benutzte Auto aber offen­bar für viele immer noch Frei­heit – wenn auch eine, die nicht sel­ten im näch­sten Stau jäh endet.

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Simulation mit künstlicher Intelligenz

Offen­bar ver­mag dieser Umstand aber nicht ern­sthaft zu stören. Die neu­ral­gis­chen Stellen wer­den zuver­läs­sig jeden Tag zu Hauf anges­teuert. Das inter­essiert das Insti­tut für Verkehrs­pla­nung der ETH Zürich. Dort wird in Com­put­er­sim­u­la­tio­nen erforscht, wie sich Verän­derun­gen eines Verkehrssys­tems auswirken. Etwa die Sper­rung ein­er Fahrspur, auch eine Erweiterung durch Aus­bau oder kürzere Grün­phasen der Ampel.

Dazu wer­den Dat­en zum realen Verkehrsaufkom­men an der ger­ade zu unter­suchen­den Stelle ver­wen­det. Die Forschen­den gener­ieren virtuelle Verkehrsteil­nehmende und nen­nen diese «Agents». Deren Wis­sens­stand ist anfangs bei 0 und sie enden zunächst zuver­läs­sig im sim­u­la­tiv entste­hen­den Stau – fast wie die echt­en Men­schen. Die «Agents» sind aber lern­fähig und ver­suchen bei jedem weit­eren Durch­gang der Sim­u­la­tion das Fahrver­hal­ten und die Route zu opti­mieren. Dank der gespe­icherten Dat­en sind sie dazu bess­er in der Lage als der Men­sch hin­ter dem Lenkrad, dessen Hor­i­zont im Stau an der Heckscheibe des näch­sten Wagens endet.

Die Erken­nt­nisse aus der ETH-Sim­u­la­tion helfen Verkehrs­planer­in­nen und ‑plan­ern bei der Justierung von Steuerungs­mass­nah­men. Sie zeigen aber auch, ob ein geplanter Aus­bau oder eine neue Umfahrung die gewün­schte Wirkung zeit­i­gen wird.

Firmen können Flagge zeigen

Auch Unternehmen haben Möglichkeit­en, dem Verkehrskol­laps ent­ge­gen­zuwirken. Ein schillern­des Beispiel hier­für ist das BMW-Werk im nieder­bayrischen Din­golf­ing – hin­sichtlich Verkehrsan­schlüssen nicht ger­ade der Nabel der Welt. Die gewaltige Pro­duk­tion­sstätte wurde Anfang der 70er-Jahre eröffnet und die Verkehrs­be­las­tung der beschaulichen Kle­in­stadt mit 18 000 Ein­wohner­in­nen und Ein­wohn­ern stieg in der Folge erhe­blich.

BMW hat aus diesem Grund vor rund 40 Jahren einen Pen­del­busverkehr ein­gerichtet. Über 250 Busse bedi­enen sei­ther täglich mehr als 2500 Hal­testellen bis weit über die Bezirks­gren­ze hin­aus. Hier­bei leg­en die Busse Tag für Tag ins­ge­samt gut 40’000 Kilo­me­ter zurück. Gut zwei Drit­tel der 17’000 BMW-Angestell­ten, welche im Werk Din­golf­ing arbeit­en, nutzen das unternehmen­seigene Bussys­tem.

Selb­stre­dend, dass der­lei für das Gros der Unternehmen eine Num­mer zu gross ist. Dank des dicht­en Schweiz­er ÖV-Net­zes stellt sich die Frage bei vie­len hiesi­gen Unternehmen gar nicht erst. Den­noch wäre es möglicher­weise ab und an eine Über­legung wert, ob es zum grosszügi­gen – und dur­chaus teuren – Per­son­al­park­platz nicht doch Alter­na­tiv­en gäbe.

 

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E‑Autos im Carsharing nutzen

Der VCS hat 2021 auf­grund ein­er Verkehrsstudie seinen Mas­ter­plan «fos­sil­freier Verkehr» for­muliert. Die wichtig­ste Erken­nt­nis aus der Studie: Die Ziele des Paris­er Kli­maabkom­mens lassen sich nur erre­ichen, wenn die Welt bis spätestens 2050 aus den fos­silen Energi­eträgern aussteigt. Die Lösung sieht der VCS im Aus­bau des ÖV und in der Verbesserung der Velo-Infra­struk­tur. Für die dann noch verbleiben­den Autos schlägt der VCS einen Verkauf­sstopp für Fahrzeuge mit Ver­bren­nungsmo­tor vor. An der­er statt sollen Elek­tro­fahrzeuge einge­set­zt wer­den. Das ist allerd­ings auch nicht ganz ohne: Die Her­stel­lung von Elek­troau­tos ist ressourcenin­ten­siv­er als die Pro­duk­tion herkömm­lich­er Autos.

Darum wäre es inter­es­sant, wenn Elek­tro­fahrzeuge nach der Fahrt nicht völ­lig sinn­los stun­den­lang auf einem Park­platz stün­den, son­dern nach kurzem Aufladen wieder ver­wen­det wür­den. Der Vorteil von E‑Autos gegenüber Mod­ellen mit Ver­bren­nungsmo­tor steigt, wenn sie häu­fig genutzt wer­den – etwa im Car­shar­ing.

Nicht zulet­zt aus diesem Grund set­zt der Car­shar­ing-Dienst Mobil­i­ty auf Elek­troau­tos und will bis 2030 die gesamte Flotte elek­trisch betreiben. Gemäss Aus­sagen des Car­shar­ers erset­zt ein Mobil­i­ty-Auto mit­tler­weile etwa elf Pri­vatau­tos. Durch die Flot­tenum­stel­lung kön­nten mehrere 10’000 Ton­nen CO2 einges­part wer­den. Das schenkt ein.

Wider den Verkehrskollaps

  • Car­pool­ing: Mit­tels Car­pool­ing lassen sich Aut­o­fahrten bess­er aus­las­ten. Mehrere Per­so­n­en mit selbem Ziel oder gle­ich­er Fahrtrich­tung bilden Fahrge­mein­schaften. Wie solche organ­isiert wer­den kön­nen, erfahren Sie unter www.verkehrsclub.ch/auto/autoteilen
  • Car­shar­ing: In der Schweiz ist in erster Lin­ie Mobil­i­ty als Branchen­primus bekan­nt. Doch Autoteilen geht auch in der Nach­barschaft als pri­vate Ini­tia­tive. Mehr erfahren Sie unter www.verkehrsclub.ch/auto/autoteilen
  • Car­free-Ini­tia­tive: Das beste Auto ist jenes, das gar nicht gebaut wird. Gemäss Bun­de­samt für Sta­tis­tik verzichtet mehr als ein Fün­f­tel der Schweiz­er Haushalte auf ein eigenes Auto. In den Städten ist es fast die Hälfte der Haushalte; viele kom­binieren dabei Car­free mit Car­shar­ing. Infos zur Car­free-Ini­tia­tive unter www.vcs-carfree.ch
  • Mas­ter­plan «fos­sil­freie Mobil­ität»: Der VCS hat auf­grund ein­er Mobil­itätsstudie mit mehreren Zukun­ftsszenar­ien einen Mas­ter­plan aus­gear­beit­et, mit welchem der Verkehr der Zukun­ft ohne fos­sile Treib­stoffe auskommt. Details unter www.verkehrsclub.ch/klimaschutz

Mit Mobility Pricing gegen den Verkehrskollaps

Ein weit­eres pro­bates Mit­tel, das gegen ver­stopfte Städte wirkt und inter­na­tion­al vielerorts gut funk­tion­iert, ist Mobil­i­ty Pric­ing. In der Schweiz stösst das Konzept ein­er Strassen­maut allerd­ings auf heftige Gegen­wehr. Jahre­lang wurde jeglich­er Gedanke an das Verur­sacher­prinzip bei der Strassen­nutzung im Keim  abge­murkst. Darum ste­hen wir in Sachen Mobil­i­ty Pric­ing noch ganz am Anfang. Immer­hin sollen jet­zt Pilotver­suche möglich wer­den. In deren Rah­men soll die Bevölkerung merken, dass Mobil­i­ty Pric­ing kein Teufel­swerk ist – vielmehr kön­nen die Städte und Agglom­er­a­tio­nen ent­lastet und die dor­tige Leben­squal­ität verbessert wer­den.

Ausser­dem kön­nten aus beste­hen­der Prax­is Lehren gezo­gen wer­den: Bere­its heute gibt es im ÖV Preis­ab­stu­fun­gen, mit welchen sich die Zugaus­las­tung über den Tag steuern lässt. Wenn auch das Preis­sys­tem eines Mobil­i­ty Pric­ings so angelegt wird, dass die Fahrt während der Hauptverkehrszeit­en mehr kostet als zu anderen Tageszeit­en, dürfte dies den Strassen­verkehr zusät­zlich lenken. Aus­bau­vorhaben zum Bewälti­gen der Pendler­spitzen kön­nten auf einen Schlag obso­let wer­den.

Neue Ansätze fördern

Der JungVCS hat im Herb­st mit ein­er Aktion auf dem Bun­de­splatz deut­lich gemacht, dass ein weit­er­er Strasse­naus­bau für kün­ftige Gen­er­a­tio­nen nicht trag­bar ist. Eben­da übri­gens, wo sich bis vor 20 Jahren noch Auto an Auto rei­ht­en. Das wenig repräsen­ta­tive Freiluft-Park­ing wich 2004 dem heute bekan­nten Platz mit Tre­ff­punkt-Charak­ter. Auch wenn vor der Umgestal­tung Zweifel laut wur­den, möchte mit­tler­weile kein Men­sch den hässlichen Park­platz zurück. Und auch in anderen Städten wird der Autoverkehr mehr und mehr aus dem Zen­trum ver­ban­nt.

Es wäre also doch recht töricht, dafür ander­swo wertvolle Kul­tur­fläche zuzu­be­tonieren und noch gigan­tis­chere Auto­bahnkreuze hochzuziehen, bloss um die kurzen Spitzen des Stossverkehrs zu brechen. Oder wie Doc Brown im ein­gangs erwäh­n­ten Film tre­f­fend sagte: «Strassen? Wo wir hin­fahren, brauchen wir keine Strassen!»

Andreas Käser­mann