Mar­tin Jäger/pixelio.de

Auf neuen Wegen gehen

Dass das alte Rezept mit neu­en Stras­sen zur Bewäl­ti­gung des Ver­kehrs nicht so rich­tig funk­tio­niert, ist bei­lei­be kein Geheim­nis. Nichts­des­to­trotz setzt der Bund auf noch mehr Stras­sen. Ein Ana­chro­nis­mus – immer­hin einer mit Alter­na­ti­ven.

aus VCS-Maga­zin 1/2023

VCS Schweiz

Erin­nern Sie sich an Mar­ty McFly? Der Gitar­re spie­len­de, ado­les­zen­te Skate­boar­der aus der «Back To The Future»-Trilogie, der stets in Jeans und Fla­nell­hemd schlief? Die­ser Mar­ty McFly hat zusam­men mit dem glei­cher­mas­sen wir­ren wie genia­len Tüft­ler Doc Brown die Ver­gan­gen­heit eben­so bereist wie die Zukunft.

Etli­che Pro­phe­zei­un­gen aus den 80er-Jah­re-Fil­men haben sich bis­lang nicht bewahr­hei­tet. Etwa, dass Autos flie­gen kön­nen und der Stras­sen­ver­kehr auf stark fre­quen­tier­ten High­ways hoch im Him­mel von­stat­ten­geht. In einem Punkt behielt der kul­ti­ge Sci­ence-Fic­tion-Kla­mauk indes Recht: Es wird eng auf erd­ge­bun­de­nen Stras­sen. Dabei hät­ten wir eini­ges zur Hand, das hül­fe.

Da wäre mal das Home­of­fice. Die letz­ten drei Jah­re mit Coro­na haben uns gelehrt, dass Tele­ar­beit in vie­len Berei­chen mög­lich ist – auch dank der fort­schrei­ten­den Digi­ta­li­sie­rung. Wür­den als Pan­de­mie-Leh­re alle Arbeit­neh­men­den ein­mal wöchent­lich zu Hau­se arbei­ten, fie­len durch­schnitt­lich 20 Pro­zent der Pen­del­fahr­ten weg. Wenn über­dies jene, die zum Arbeits­ort fah­ren müs­sen, von den Vor­zü­gen fle­xi­bler Arbeits­zei­ten pro­fi­tie­ren kön­nen, wür­den die Eng­päs­se im Berufs­ver­kehr zusätz­lich ent­schärft. Die Fol­ge wären min­der voll­ge­pfropf­te Züge und Bus­se und weni­ger Autos, wel­che sich in Staus ein­rei­hen.

Autos besser auslasten

Der Gross­teil der Autos ist heu­te mit einer Ein­zel­per­son unter­wegs. An einer bei­spiel­haf­ten Kreu­zung mit Ampeln fah­ren so zur Haupt­ver­kehrs­zeit wäh­rend fünf Grün­pha­sen etwa 80 Per­so­nen stadt­ein­wärts. Bei voll­be­leg­ten Autos könn­ten es um die 300 sein.

Nun wäre es ja nicht das Ziel, mög­lichst vie­le Men­schen stadt­ein­wärts fah­ren zu las­sen, son­dern nur jene, die dort auch hin müss­ten. Die Zahl der vor­bei­fah­ren­den Autos wür­de dar­um bei Voll­be­le­gung an der frag­li­chen Kreu­zung um über 70 Pro­zent sin­ken. Das ist ein schla­gen­des Argu­ment für Car­poo­ling: das Fahr­zeug wird gleich­zei­tig von meh­re­ren Per­so­nen genutzt, wel­che die­sel­be Stre­cke fah­ren.

Der Bun­des­rat will Rah­men­be­din­gun­gen schaf­fen, wel­che das Car­poo­ling bevor­zu­gen und för­dern. Bestimm­te Fahr­spu­ren sol­len neu nur noch von Autos mit einer Min­dest­an­zahl von Mit­fah­ren­den genutzt wer­den dür­fen. Aus irgend­ei­nem uner­find­li­chen Grund bedeu­tet das allei­ne benutz­te Auto aber offen­bar für vie­le immer noch Frei­heit – wenn auch eine, die nicht sel­ten im nächs­ten Stau jäh endet.

Petra Bork/pixelio.de

Simulation mit künstlicher Intelligenz

Offen­bar ver­mag die­ser Umstand aber nicht ernst­haft zu stö­ren. Die neur­al­gi­schen Stel­len wer­den zuver­läs­sig jeden Tag zu Hauf ange­steu­ert. Das inter­es­siert das Insti­tut für Ver­kehrs­pla­nung der ETH Zürich. Dort wird in Com­pu­ter­si­mu­la­tio­nen erforscht, wie sich Ver­än­de­run­gen eines Ver­kehrs­sys­tems aus­wir­ken. Etwa die Sper­rung einer Fahr­spur, auch eine Erwei­te­rung durch Aus­bau oder kür­ze­re Grün­pha­sen der Ampel.

Dazu wer­den Daten zum rea­len Ver­kehrs­auf­kom­men an der gera­de zu unter­su­chen­den Stel­le ver­wen­det. Die For­schen­den gene­rie­ren vir­tu­el­le Ver­kehrs­teil­neh­men­de und nen­nen die­se «Agents». Deren Wis­sens­stand ist anfangs bei 0 und sie enden zunächst zuver­läs­sig im simu­la­tiv ent­ste­hen­den Stau – fast wie die ech­ten Men­schen. Die «Agents» sind aber lern­fä­hig und ver­su­chen bei jedem wei­te­ren Durch­gang der Simu­la­ti­on das Fahr­ver­hal­ten und die Rou­te zu opti­mie­ren. Dank der gespei­cher­ten Daten sind sie dazu bes­ser in der Lage als der Mensch hin­ter dem Lenk­rad, des­sen Hori­zont im Stau an der Heck­schei­be des nächs­ten Wagens endet.

Die Erkennt­nis­se aus der ETH-Simu­la­ti­on hel­fen Ver­kehrs­pla­ne­rin­nen und ‑pla­nern bei der Jus­tie­rung von Steue­rungs­mass­nah­men. Sie zei­gen aber auch, ob ein geplan­ter Aus­bau oder eine neue Umfah­rung die gewünsch­te Wir­kung zei­ti­gen wird.

Firmen können Flagge zeigen

Auch Unter­neh­men haben Mög­lich­kei­ten, dem Ver­kehrs­kol­laps ent­ge­gen­zu­wir­ken. Ein schil­lern­des Bei­spiel hier­für ist das BMW-Werk im nie­der­bay­ri­schen Din­gol­fing – hin­sicht­lich Ver­kehrs­an­schlüs­sen nicht gera­de der Nabel der Welt. Die gewal­ti­ge Pro­duk­ti­ons­stät­te wur­de Anfang der 70er-Jah­re eröff­net und die Ver­kehrs­be­las­tung der beschau­li­chen Klein­stadt mit 18 000 Ein­woh­ne­rin­nen und Ein­woh­nern stieg in der Fol­ge erheb­lich.

BMW hat aus die­sem Grund vor rund 40 Jah­ren einen Pen­del­bus­ver­kehr ein­ge­rich­tet. Über 250 Bus­se bedie­nen seit­her täg­lich mehr als 2500 Hal­te­stel­len bis weit über die Bezirks­gren­ze hin­aus. Hier­bei legen die Bus­se Tag für Tag ins­ge­samt gut 40’000 Kilo­me­ter zurück. Gut zwei Drit­tel der 17’000 BMW-Ange­stell­ten, wel­che im Werk Din­gol­fing arbei­ten, nut­zen das unter­neh­mens­ei­ge­ne Bus­sys­tem.

Selbst­re­dend, dass der­lei für das Gros der Unter­neh­men eine Num­mer zu gross ist. Dank des dich­ten Schwei­zer ÖV-Net­zes stellt sich die Fra­ge bei vie­len hie­si­gen Unter­neh­men gar nicht erst. Den­noch wäre es mög­li­cher­wei­se ab und an eine Über­le­gung wert, ob es zum gross­zü­gi­gen – und durch­aus teu­ren – Per­so­nal­park­platz nicht doch Alter­na­ti­ven gäbe.

 

Rai­ner Sturm/pixelio.de

E‑Autos im Carsharing nutzen

Der VCS hat 2021 auf­grund einer Ver­kehrs­stu­die sei­nen Mas­ter­plan «fos­sil­frei­er Ver­kehr» for­mu­liert. Die wich­tigs­te Erkennt­nis aus der Stu­die: Die Zie­le des Pari­ser Kli­ma­ab­kom­mens las­sen sich nur errei­chen, wenn die Welt bis spä­tes­tens 2050 aus den fos­si­len Ener­gie­trä­gern aus­steigt. Die Lösung sieht der VCS im Aus­bau des ÖV und in der Ver­bes­se­rung der Velo-Infra­struk­tur. Für die dann noch ver­blei­ben­den Autos schlägt der VCS einen Ver­kaufs­stopp für Fahr­zeu­ge mit Ver­bren­nungs­mo­tor vor. An derer statt sol­len Elek­tro­fahr­zeu­ge ein­ge­setzt wer­den. Das ist aller­dings auch nicht ganz ohne: Die Her­stel­lung von Elek­tro­au­tos ist res­sour­cen­in­ten­si­ver als die Pro­duk­ti­on her­kömm­li­cher Autos.

Dar­um wäre es inter­es­sant, wenn Elek­tro­fahr­zeu­ge nach der Fahrt nicht völ­lig sinn­los stun­den­lang auf einem Park­platz stün­den, son­dern nach kur­zem Auf­la­den wie­der ver­wen­det wür­den. Der Vor­teil von E‑Autos gegen­über Model­len mit Ver­bren­nungs­mo­tor steigt, wenn sie häu­fig genutzt wer­den – etwa im Car­sha­ring.

Nicht zuletzt aus die­sem Grund setzt der Car­sha­ring-Dienst Mobi­li­ty auf Elek­tro­au­tos und will bis 2030 die gesam­te Flot­te elek­trisch betrei­ben. Gemäss Aus­sa­gen des Car­sha­rers ersetzt ein Mobi­li­ty-Auto mitt­ler­wei­le etwa elf Pri­vat­au­tos. Durch die Flot­ten­um­stel­lung könn­ten meh­re­re 10’000 Ton­nen CO2 ein­ge­spart wer­den. Das schenkt ein.

Wider den Verkehrskollaps

  • Car­poo­ling: Mit­tels Car­poo­ling las­sen sich Auto­fahr­ten bes­ser aus­las­ten. Meh­re­re Per­so­nen mit sel­bem Ziel oder glei­cher Fahrt­rich­tung bil­den Fahr­ge­mein­schaf­ten. Wie sol­che orga­ni­siert wer­den kön­nen, erfah­ren Sie unter www.verkehrsclub.ch/auto/autoteilen
  • Car­sha­ring: In der Schweiz ist in ers­ter Linie Mobi­li­ty als Bran­chen­pri­mus bekannt. Doch Auto­tei­len geht auch in der Nach­bar­schaft als pri­va­te Initia­ti­ve. Mehr erfah­ren Sie unter www.verkehrsclub.ch/auto/autoteilen
  • Car­free-Initia­ti­ve: Das bes­te Auto ist jenes, das gar nicht gebaut wird. Gemäss Bun­des­amt für Sta­tis­tik ver­zich­tet mehr als ein Fünf­tel der Schwei­zer Haus­hal­te auf ein eige­nes Auto. In den Städ­ten ist es fast die Hälf­te der Haus­hal­te; vie­le kom­bi­nie­ren dabei Car­free mit Car­sha­ring. Infos zur Car­free-Initia­ti­ve unter www.vcs-carfree.ch
  • Mas­ter­plan «fos­sil­freie Mobi­li­tät»: Der VCS hat auf­grund einer Mobi­li­täts­stu­die mit meh­re­ren Zukunfts­sze­na­ri­en einen Mas­ter­plan aus­ge­ar­bei­tet, mit wel­chem der Ver­kehr der Zukunft ohne fos­si­le Treib­stof­fe aus­kommt. Details unter www.verkehrsclub.ch/klimaschutz

Mit Mobility Pricing gegen den Verkehrskollaps

Ein wei­te­res pro­ba­tes Mit­tel, das gegen ver­stopf­te Städ­te wirkt und inter­na­tio­nal vie­ler­orts gut funk­tio­niert, ist Mobi­li­ty Pri­cing. In der Schweiz stösst das Kon­zept einer Stras­sen­maut aller­dings auf hef­ti­ge Gegen­wehr. Jah­re­lang wur­de jeg­li­cher Gedan­ke an das Ver­ur­sa­cher­prin­zip bei der Stras­sen­nut­zung im Keim  abge­murkst. Dar­um ste­hen wir in Sachen Mobi­li­ty Pri­cing noch ganz am Anfang. Immer­hin sol­len jetzt Pilot­ver­su­che mög­lich wer­den. In deren Rah­men soll die Bevöl­ke­rung mer­ken, dass Mobi­li­ty Pri­cing kein Teu­fels­werk ist – viel­mehr kön­nen die Städ­te und Agglo­me­ra­tio­nen ent­las­tet und die dor­ti­ge Lebens­qua­li­tät ver­bes­sert wer­den.

Aus­ser­dem könn­ten aus bestehen­der Pra­xis Leh­ren gezo­gen wer­den: Bereits heu­te gibt es im ÖV Preis­ab­stu­fun­gen, mit wel­chen sich die Zug­aus­las­tung über den Tag steu­ern lässt. Wenn auch das Preis­sys­tem eines Mobi­li­ty Pri­cings so ange­legt wird, dass die Fahrt wäh­rend der Haupt­ver­kehrs­zei­ten mehr kos­tet als zu ande­ren Tages­zei­ten, dürf­te dies den Stras­sen­ver­kehr zusätz­lich len­ken. Aus­bau­vor­ha­ben zum Bewäl­ti­gen der Pend­ler­spit­zen könn­ten auf einen Schlag obso­let wer­den.

Neue Ansätze fördern

Der JungVCS hat im Herbst mit einer Akti­on auf dem Bun­des­platz deut­lich gemacht, dass ein wei­te­rer Stras­sen­aus­bau für künf­ti­ge Gene­ra­tio­nen nicht trag­bar ist. Eben­da übri­gens, wo sich bis vor 20 Jah­ren noch Auto an Auto reih­ten. Das wenig reprä­sen­ta­ti­ve Frei­luft-Par­king wich 2004 dem heu­te bekann­ten Platz mit Treff­punkt-Cha­rak­ter. Auch wenn vor der Umge­stal­tung Zwei­fel laut wur­den, möch­te mitt­ler­wei­le kein Mensch den häss­li­chen Park­platz zurück. Und auch in ande­ren Städ­ten wird der Auto­ver­kehr mehr und mehr aus dem Zen­trum ver­bannt.

Es wäre also doch recht töricht, dafür anders­wo wert­vol­le Kul­tur­flä­che zuzu­be­to­nie­ren und noch gigan­ti­sche­re Auto­bahn­kreu­ze hoch­zu­zie­hen, bloss um die kur­zen Spit­zen des Stoss­ver­kehrs zu bre­chen. Oder wie Doc Brown im ein­gangs erwähn­ten Film tref­fend sag­te: «Stras­sen? Wo wir hin­fah­ren, brau­chen wir kei­ne Stras­sen!»

Andre­as Käser­mann