Auf in den Kampf

3. Feb­ru­ar 2017 | Läng­gass­blatt

Maurice Lindgren© Andreas Käser­mann

Seit dem Wahlson­ntag Ende Novem­ber let­zten Jahres ist die Läng­gass-Dep­u­ta­tion im Stadt­par­la­ment um einen Namen gewach­sen: Mau­rice Lind­gren hat auf Anhieb die Wahl in den Stad­trat geschafft. Das Läng­gass­blatt hat den Jung­poli­tik­er kurz vor Amt­santritt getrof­fen.

aus Läng­gass­blatt 243

© Läng­gass­blatt

Tre­ff­punkt Kung-Fu-Schule Fama im Weis­senbühl. Im Train­ingsraum ste­hen leicht bizarre, schwarz lack­ierte, bisweilen gefährliche anmu­tende Gerätschaften und Uten­silien, deren Sinn oder Funk­tion sich dem Laien nicht ohne weit­eres zu erschliessen ver­mag. Wing Chun trainiert Mau­rice Lind­gren hier. Eine Kampf­s­portart zur Selb­stvertei­di­gung; eine Aus­prä­gung des Kung Fu, wie sie wei­land auch Bruce Lee eben­so schlagkräftig wie lein­wandgerecht prak­tizierte.

Der Kampf­s­port – den Mau­rice Lind­gren seit Jahren lei­den­schaftlich und mit Herzblut betreibt – habe dur­chaus etwas Philosophis­ches. «Über­set­zt bedeutet Kung Fu etwa harte Arbeit oder langer Weg. Also das Dran­bleiben mit Ein­satz, Ern­sthaftigkeit und kri­tis­chem Geist. Das ist auf alle Lebens­bere­iche anwend­bar», betont er. «Von ein­er Nonne entwick­elt, zielt Wing Chung darauf ab, sich mit ein­fachen Bewe­gun­gen und möglichst wenig Kraftaufwand effizient gegen einen Angreifer zur Wehr zu set­zen.»

Man sieht es ihm zwar nicht an, denkt sich wer Lind­grens Train­ing beobachtet; ihn aber kör­per­lich anzu­greifen, wäre ver­mut­lich keine gute Idee. Zu Boden gehe aber im Train­ing kein­er, sagt Lind­gren. Die Hiebe wer­den denn auch rechtzeit­ig vor der Kol­li­sion mit dem Nack­en abge­bremst, die Fäuste tre­f­fen den Kiefer des Spar­ring­part­ners nicht – zu dessen Wohl freilich.

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Freude an der kämpferischen Debatte

Wenn schon müsste es ein ver­bales Duell sein. Auch diese Diszi­plin beherrscht der Jung­poli­tik­er, der dur­chaus Par­al­le­len zwis­chen Kampf­s­port und der Debat­te sieht. «Es geht hier wie dort um Respekt vor dem Gegenüber. Und darum, den Hebel am richti­gen Ort anzuset­zen, um eine grosse Wirkung zu erzie­len.»

Poli­tisch aktiv ist Mau­rice Lind­gren seit sieben Jahren. «Poli­tisiert wurde ich vor allem durch die Volksab­stim­mung über die Minarett-Ini­tia­tive», erin­nert er sich. «Ich kon­nte nicht glauben, dass dieses Volks­begehren an der Urne eine Chance hat.» Das war im Novem­ber 2009. Damals wurde das Bau­ver­bot für Minarette über­raschend in die Bun­desver­fas­sung gehievt. Mit 57.5 % Ja-Stim­men und 19.5 zus­tim­menden Kan­to­nen. Während die Rechte jubelte und frohlock­te, war die Linke eben­so entset­zt wie kon­stern­iert. Für Mau­rice Lind­gren war das die Zün­dung. Als 22jähriger war für ihn klar: Er will sich poli­tisch engagieren. Nur so unternehme man etwas gegen der­lei Über­raschun­gen, war er der Ansicht. Bere­its einen Tag nach der Abstim­mung sei er darum der Grün­lib­eralen Partei beige­treten.

Die poli­tis­che Mitte ist seine Heimat. «Sowohl SP und Grüne wie auch SVP und FDP sind mir zu dog­ma­tisch. Diese Parteien beschränken sich viel zu stark auf Ide­olo­gien und blenden oft die Fol­gen eines Entschei­ds aus. Ich sehe mich als Prag­matik­er und bin der Ansicht, dass auch eine pros­perierende Wirtschaft umweltverträglich gestal­tet wer­den kann. Das entspricht sehr genau dem Pro­gramm der Grün­lib­eralen.» Diese haben das Tal­ent und das Engage­ment Lind­grens offen­sichtlich erkan­nt: Er wurde zunächst in den Vor­stand der Stadt­partei gewählt und im let­zten Jahr set­zte ihn die Partei gar auf den Wahlzettel für die Bern­er Stadtregierung. Als Lis­ten­füller auf dem let­zten Platz zwar; die zusät­zliche Pub­liz­ität, die Gemein­der­atskan­di­dat­en gewöhn­lich zuteil wird, war dem Wahlkampf jedoch offen­sichtlich zuträglich: Lind­gren schaffte es als schweizweit erster Kan­di­dat ein­er Liste der jun­gen glp und als einziger neuer Läng­gässler in die Leg­isla­tive der Stadt.

Aus der Werkstatt an die Uni

Dass Lind­gren sich für die poli­tis­che Mitte engagiert, kommt nicht von unge­fähr. Der 29jährige ist zwar unter­dessen Volk­swirtschaftsstu­dent an der Uni Bern, er hat aber bere­its eine abgeschlossene Beruf­slehre als Auto­mechaniker im Cur­ricu­lum Vitae. «Ich habe immer noch Ben­zin im Blut», schwärmt er. «Ich habe meine Lehre bei einem Betrieb der Gen­er­al Motors gemacht und das Dröh­nen eines V8-Motors ist Musik in meinen Ohren», sagt ein­er, der zwar von der eige­nen Corvette träumt; jedoch aus ökol­o­gis­chen Grün­den – und wohl auch aus Man­gel am nöti­gen Klein­geld – ganz aufs Auto verzichtet. Das mit dem Automech sei aber dann doch nicht ganz sein Ding gewe­sen. Das habe er bere­its während der Beruf­slehre fest­gestellt. Vor allem mit den Beruf­skol­le­gen sei es nicht immer ein­fach gewe­sen. «Viele sind poli­tisch stark rechts geprägt – das war nicht meine Welt.» Er entsch­ied sich für die Beruf­s­matu­ra und legte nach der Lehre den Schrauben­schlüs­sel zugun­sten des Studi­ums hin.

Nun kommt zum Abschluss des Stu­den­ten­lebens mit dem Einzug in den Stad­trat ein weit­er­er Lebens­ab­schnitt. Und – wie er sagt – eine neue Art des «Büf­felns». Er sei vor der ersten Stad­tratssitzung mit reich­lich Unter­la­gen eingedeckt wor­den. Alles auf elek­tro­n­is­chem Weg, zumal der Rat­sneul­ing auf die Papier­liefer­ung verzichtet, «Das sind Unmen­gen an Doku­menten und deren Sprache ist nicht eben lese­fre­undlich.» Auf die Arbeit im Par­la­ment freut sich Lind­gren jedoch unge­mein: «Man muss beschei­den bleiben und seinen Ein­fluss nicht über­schätzen. Aber es ist schon toll, wenn man an der Entschei­dfind­ung teil­haben darf.»

© Andreas Käser­mann

Wehret den Pollern

Einen poli­tis­chen Mas­ter­plan habe er jedoch vorder­hand nicht. «Zunächst muss ich mich in den Rats­be­trieb einar­beit­en. Das Handw­erk will ich mir aber rasch aneignen.» Ein Prob­lem aus seinem All­t­ag ist Mau­rice Lind­gren dann let­ztlich doch zu ent­lock­en: «Ich fahre gele­gentlich für den Thaifood-Kuri­er. Und dabei ärg­ere ich mich jew­eils über die vie­len Poller, die in Bern instal­liert wur­den.» Er sähe den Sinn und den Nutzen von Verkehrs­beruhi­gun­gen auch ein. «Jedoch bedeutet eine Durch­fahrtssperre an der einen Strasse auch Mehrverkehr auf ein­er anderen. Es ist ja nicht so, dass eine Fuhre eines Pollers wegen nicht aus­geliefert wird.» Der Fahrer suche sich dann halt Schle­ich­wege. Wenn dem­nach der Stad­trat dere­inst über eine neue Poller­an­lage entschei­det: ohne Gegen­wehr Lind­grens wird ein solch­es Geschäft kaum durchkom­men. «Ich habe noch keine Patentlö­sung parat. Aber einen Poller hinzupflanzen, kann ja kaum der Weisheit let­zter Schluss sein.»

Ein Graus sind ihm Hin­ter­bän­kler. So wolle er bes­timmt nicht enden, sagt er. «Ich sehe mich nicht als Stim­mvieh der Frak­tion und will mich ein­brin­gen.» Schrille Töne jedoch wer­den von Stad­trat Lind­gren kaum zu erwarten sein. Er hat ein lib­erales Gemüt, wirkt ruhig und beson­nen. Kein­er­lei Anze­ichen von Flegel­jahren. Er hat aber auch seine Erwartun­gen ans poli­tis­che Gegenüber: «Ich bin kein Fre­und von Tabus.» Es sei hin und wieder nötig, offen und unvor­ein­genom­men zu disku­tieren. Gren­zen gibt es dabei für den Rat­snovizen keine: «Wir müssen über die Zulas­sung des Taxi­di­en­stes Uber eben­so offen disku­tieren wie über die Zukun­ft der Kon­ven­tion der Men­schen­rechte. Dabei kann es sein, dass eine kluge Reform im Kon­sens entste­ht oder dass man let­ztlich doch zum Schluss kommt, dass der bish­erige Weg der beste sei.» Diese Erken­nt­nis könne aber nur nach ein­er ergeb­nisof­fe­nen und nicht-ide­ol­o­gis­chen Diskus­sion gedei­hen.

 

Eine let­zte Frage muss freilich doch noch beant­wortet wer­den: Ist Stad­trat Lind­gren mit der Pip­pi-Langstrumpf-Autorin Astrid Lind­gren ver­wandt? Lachen. Man bemerkt: zum ersten Mal hört der Jung­poli­tik­er diese Frage nicht. «Lind­grens gibt es in Schwe­den etwa so häu­fig wie Müllers in der Schweiz!» Nun, dann wäre also auch das gek­lärt.

Andreas Käser­mann