Auf Gedeih und Genuss
Der Frühling ist endgültig ins Land gezogen und die Gärten erwachen. Nach der Brachzeit zieht es jetzt auch Hobbygärtnerinnen und ‑gärtner wieder nach draussen. Was soll denn heuer gedeihen? Casanostra schlägt vor, sich auf alte, seltener gewordene Sorten einzulassen. Ein Plädoyer für mehr Heimatschutz im eigenen Garten.
Urs Bernasconi, Mitglied Zentralvorstand Casafair Schweiz
«In unserem Familiengarten gibt es über 300 Pflanzen und Kräuter. Mehrheitlich sind es alte Sorten ohne Kreuzung mit Nachzüchtungen. Wir verwenden keine Kunstdünger und keine Spritzmittel. Der Garten ist zertifiziert von der Stiftung ‹Natur & Wirtschaft›. Mein persönliches Lieblingsprojekt: Die Vermehrung seltener Pflanzen wie zum Beispiel Pulsatilla vulgaris (Küchenschelle), Filipendula Hexapetala (Kleines Mädesüss). Diese blühen schon bald wunderschön.»
Pavel Beco, Baumschule Albisbodenhof, Dicken SG
«Grundsätzlich finde ich Vielfalt wichtig – insbesondere in einem Garten. Aus meiner Sicht ist das Wildobst die wertvollste Gruppe für Hausgärten. Das sind Dutzende einheimische oder eingeführte Gehölze, Büsche oder kleine Bäume, mit essbaren Früchten. Also etwa Holunder, Kornelkirsche, Felsenbirne, Schwarzdorn, Wildpflaumen und viele weitere. Sehr viele dieser Sorten haben einen hohen Zierwert – mit schönen Blüten und bunter Herbstfärbung – und sind trotzdem sowohl für die Bio diversität wie für die Ernte und Nutzung wertvoll. Die meisten sind überdies robuster als Kulturobst und pflegeleicht.»
David Herrmann, Mediensprecher Bio Suisse
«Alt ist nicht automatisch besser. Trotzdem ist die Wahl der Sorte zentral für eine standortangepasste biologische Produktion. Mit dem Einsatz alter Sorten bewahren und schützen Knospe-Produzenten die genetische und kulturhistorische Vielfalt. Viele dieser Sorten sind sehr robust und können zum Beispiel gut mit grosser Hitze umgehen. Auch wenn sie oft weniger ertragreich oder einheitlich in der Form sind, bilden sie aufgrund ihrer positiven Eigenschaften einen wichtigen Genpool für die Züchtung. Viele Direktvermarkter und Privatgärtner setzen auf Sortenvielfalt und sorgen mit alten Kulturpflanzen wie regionalen Tomatensorten, speziellen Kürbissen oder vielfältigen Salaten für ein attraktives Angebot.»
Blickt man auf die Gemüseauslage der Grossverteiler, läuft einem ja das Wasser im Munde förmlich zusammen. Die Vielfalt ist schier unermesslich – alles ist im Überfluss vorhanden. Akkurat aufgereiht und einladend zum Kaufe dargetan. Doch eigentlich ist da von Vielfalt keine Spur: «Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind drei Viertel der Sorten verschwunden. Die Vielfalt war also einst viel grösser», sagt Nicole Egloff, Sprecherin der Stiftung ProSpecieRara. Die Auswahl in den Läden gaukle ein falsches Bild vor: «Vieles ist das ganze Jahr und weltweit verfügbar. Sähen wir in der Gemüseauslage nur, was Saison hat und was vor Ort wächst, die Vielfalt wäre beängstigend klein.»
Seit nunmehr knapp vierzig Jahren setzt Pro- Specie Rara darum einen Gegentrend und fördert gezielt alte und rare Sorten, die mitunter längst vergessen waren. Mittlerweile führen über 3000 Sorten das Gütesiegel. Die Stiftung fördert und schützt nicht nur Pflanzensorten und Tierrassen; sie sammelt auch Know-how, welches kommenden Generationen erhalten bleiben soll.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind drei Viertel der Sorten verschwunden.
Dass die alten Sorten überhaupt verdrängt wurden, gründet in der Grossproduktion. «Der mehr und mehr maschinenbetriebene landwirtschaftliche Anbau bedingte, dass die Früchte zeitgleich und homogen reiften und entsprechend gleichzeitig geerntet werden konnten.» Zudem waren in der Weiterverarbeitung und im Verkauf mehr und mehr gleichmässige und gleichförmige Produkte gefragt. «Beide Ansprüche sind mit den neuen Züchtungen deutlich einfacher zu erfüllen als mit den alten Sorten.»
Wie gemacht für den eigenen Garten
Darum sieht Nicole Egloff die eigentlichen Stärken der alten Sorten ganz besonders im heimischen Garten: Eine Vollernte am Tag X ist eher hinderlich als gewünscht. «Die Früchte reifen nacheinander und man hat über längere Zeit immer wieder Nachschub aus eigener Produktion.»
Ganz im Gegensatz zur produzierenden Landwirtschaft, die auf robustere Sorten angewiesen ist, welche auch die immer grösseren Volumen und länger werdenden Transportwege gut überstehen. «Von Natur aus sind die alten Gemüsesorten und Früchte oft zarter als die heute bekannten. Den Weg in den Laden überstanden Sie nicht so, wie es sich die Grossverteiler und ihre KundInnen wünschen.»
Darum wurde gezüchtet, was das Zeug hielt. Die Ansprüche der Landwirtschaft, der Verkaufsketten, aber auch der Konsumierenden legten die Latte hoch. Hinzu kommen die Interessen der Agrarindustrie: Denn mit neuen Züchtungen lässt sich gutes Geld verdienen, werden doch die passenden Dünge- und Spritzmittel gleich mit verkauft. Und das immer wieder: Aus den heutigen sogenannten Hybridzüchtungen lässt sich kein Samen gewinnen, der im Folgejahr die gleichen Früchte ergeben würde. Also kauft man im nächsten Frühjahr neues, mitunter teures Saatgut – und speist die Kassen der Agrochemie.
«Open Source» im Gemüsebeet
Auch da punkten freilich die alten Sorten. Diese sind gleichsam Allgemeingut und – gemäss ProSpecieRara – darum für alle «frei vermehrbar. Jeder kann und darf Saat- oder Pflanzgut gewinnen und im Jahr darauf wieder aussäen respektive auspflanzen.» So behielten die Sorten ihre Eigenschaften. Dies bedingt jedoch einiges an Fachwissen: Fremdbefruchter – etwa Kürbisse, Kohl oder Gurken – verkreuzen sehr leicht. «Für GartenanfängerInnen empfehle ich eher, Setzlinge zu kaufen, als diese selber anzuziehen», räumt Nicole Egloff ein, «so kann man den kompliziertesten Schritt den Profis überlassen und wird eher eine erfolgreiche Ernte einfahren können.»
Die Pflege der alten Sorten steht hinsichtlich Aufwand den modernen Sorten in nichts nach. Die Gemüse sind ebenso pflegeleicht und durchaus auch für AmateurInnen geeignet. «Die Kulturen lassen sich auch gut mischen. Die alten Sorten vertragen die Nachbarschaft zu neuen durchaus», meint Nicole Egloff. Das bietet Raum für Experimente: Wem die völlige Umstellung auf alte Sorten nicht geheuer ist, der pflanzt eben zusätzlich zur herkömmlichen Palette noch ein paar aus dem ProSpecieRara-Katalog.
Jedoch vergeht zwischen Aussaat und Ernte doch eine beachtliche Zeit. Viele GartenliebhaberInnen wissen dann bei der Ernte gar nicht mehr genau, wie das Gewächs auf der Tüte seinerzeit ausgesehen hat und ob die Früchte nun gepflückt werden sollten. Gerade bei Tomaten können unübliche Farben verwirrend sein. Die Faustregel ist simpel: «Wenn die Tomate nicht mehr hart ist, sondern sich weich anfühlt, ist Erntezeit.» Auf das blosse Auge ist dabei kein Verlass. «Viele alte Sorten reifen in anderen Farben, als wir dies gewohnt sind. Die Tomatensorte ‹grüne Zebra› wird niemals rot und reift – wie ihr Name es sagt – grün.»
Das schlagende Argument ist zweifelsfrei der Geschmack.
Andere Sorten tragen blaue Früchte – etwa die Stangenbohnensorte «Blauhilde». «Äusserst praktisch », findet Nicole Egloff. «Die reifen Schoten entdeckt man zwischen den grünen Blättern ganz einfach und übersieht bei der Ernte nichts.» Die Bohne gilt als sehr ertragsreich und unkompliziert im Anbau. Wer bei der «Blauhilde» aber einen Farbakzent auf dem Teller erwartet, wird enttäuscht: Sie wird beim Kochen grün.
Fürsprecherin der alten Sorten
Die Stiftung ProSpecieRara wurde 1982 gegründet, um gefährdete Kulturpflanzen und Nutztiere vor dem Aussterben zu schützen. Heute engagiert sich die Organisation für die Erhaltung und Nutzung von 1400 Garten- und Ackerpflanzen, 500 Beerensorten, 1900 Obstsorten, 800 Zierpflanzensorten und 32 Nutztierrassen.
ProSpecieRara arbeitet mit zahlreichen Privatpersonen zusammen, welche die Sorten in ihren Gärten im Ehrenamt vermehren oder seltene Rassen halten und züchten. Die alten Sorten und Rassen sollen aber nicht nur erhalten und bewahrt werden, sondern vielmehr für alle zugänglich sein und genutzt werden.
Das Engagement von ProSpecieRara wird unterstützt von über 12 000 GönnerInnen und SpenderInnen, von weiteren Stiftungen, durch das Bundesamt für Landwirtschaft sowie durch zahlreiche Partner aus Handel und Wirtschaft.
Mehr Infos: www.prospecierara.ch
Alt liegt im Trend
Besucht man einen der ProSpecieRara-Setzlingsmärkte, sieht man sich in bester Gesellschaft. Die alten Sorten boomen, und immer mehr GärtnerInnen steigen um, sagen den gängigen Sorten immer häufiger Adé. Die Gründe sind vielfältig: «Alte Sorten anzubauen, ist ebenso einfach wie neue. Der Wunsch nach Abwechslung spielt sicher mit.» Oft sei es auch der Wunsch, etwas anzubauen, was der Grossverteiler nicht im Sortiment hat. «Das schlagende Argument ist aber zweifelsfrei der Geschmack. Diese Intensität und Vielfalt findet sich bei den Hybriden nicht», schwärmt ProSpecieRara-Sprecherin Egloff: «Die Dutzende aromatischen alten Erdbeersorten haben nichts gemein mit den faden, massenproduzierten Früchten, welche schon im Januar in den Regalen liegen.»
Auch findige GastronomInnen sind längst auf den Geschmack gekommen und experimentieren gerne mit überraschenden Formen, schrägen Farben und mit vielfältigen Geschmacksrichtungen. Sie haben durchaus zur neuen Popularität der alten Sorten beigetragen. «Köchen sagen die bisweilen ausgefallenen Gemüse und Früchte zu, welche dem Essen neue Noten geben und auch dem Auge etwas bieten.» Kein Wunder, greifen auch bekannte «Chefs» immer öfter mal in die Trickkiste mit den weniger gängigen Sorten.
Wer sich also auf das Experiment mit raren und alten Sorten einlassen möchte, kann dies getrost auf eigene Faust tun. Die Auswahl lässt kaum Wünsche offen. Stellen sich Fragen, so hilft neben einschlägiger Literatur das Netzwerk der Stiftung ProSpecieRara weiter. Deren Fachleute organisieren überdies Veranstaltungen, Setzlingsmärkte und Kurse in der ganzen Schweiz.
Andreas Käsermann
5 Evergreens für den Garten
Pastinake
Das Wurzelgemüse wurde bereits zur Römerzeit in Süd- und Mitteleuropa angebaut. Die Pastinake wurde zeitweilig von Karotten und Kartoffeln verdrängt, liegt aber heute wieder im Trend. Schmeckt ähnlich wie Sellerie.
Costata Romanesco
Diese Zucchetti war einst eine beliebte Marktsorte in Italien. Reif ist sie erst, wenn sie ungefähr 10 cm dick ist. Auch dann ist sie noch sehr zart und dank den verdickten Längsstreifen sehen die Zucchettischeiben wie Zahnräder aus. Gut geeignet auch als Grillplätzli.
Blauer Schwede
Nein, kein trinkseliger Nordeuropäer; vielmehr eine alte Kartoffelsorte mit blauer Schale und blauem Fleisch. Gemäss neueren Untersuchungen soll der Verzehr von blauen Kartoffeln blutdrucksenkend wirken.
Berner Rose
Auch die Apfelsorte «Berner Rose» hat das ProSpecieRara-Gütesiegel und stammt ursprünglich aus Oppligen BE. Der erste Mutterbaum trug 1888 Früchte. Berner Rosen sind auch beliebte Mostäpfel. Unter dem selben Namen ist auch eine Fleischtomate bekannt.
Chioggia
Eine italienische Randensorte, welche dem Auge ebenso viel bietet wie dem Gaumen. Die Sorte wurde bereits vor Mitte des 19. Jahrhunderts angebaut. Die jungen, zarten Randen schmecken besonders gut roh oder leicht gekocht.
Diese und eine grosse Vielfalt an weiteren Sorten wird an den Setzlingsmärkten in der ganzen Schweiz verkauft. Saatgut ist in den Coop-Gartenabteilungen oder im Online-Handel unter www.sativa-rheinau.ch erhältlich. ProSpecieRara-GönnerInnen haben überdies jährlich einige Portionen Saatgut kostenlos zugute